Wir sind mit der Suche nach einfachen Antworten auf den Umgang mit den Folgen der Flüchtlingskrise schlicht überfordert.
Wenn unentwirrbare Problemknäuel den Zugang zu praktikablen Auswegen versperren, polarisieren sich Diskussionen über den richtigen Lösungsansatz. Das gilt umso mehr, wenn die Sachlage auch eine moralische Bewertung notwendig macht. Besteht nämlich Uneinigkeit über das, was nach den Geboten der Menschlichkeit zu geschehen hat, dann wird bei konträren Sichtweisen aus gegenseitiger Enttäuschung rasch Verbitterung. Am Ende stehen sich dann die Lager der Rechthabenden immer unversöhnlicher gegenüber.
In besonderer Weise trifft das auf die Folgeprobleme der Flüchtlingswelle des Jahres 2015 zu. Sie führen im wörtlichen Sinn zu Auseinander-Setzungen, die von den politischen Kampfarenen bis hinein in private Diskussionskreise reichen. Da werden jahrelange Verbindungen gekappt, Unversöhnlichkeit macht sich breit und man schlägt gegeneinander neue Töne an.
Ich plädiere dafür, diese fatale Negativ-Spirale mit dem nüchternen Eingeständnis zu durchbrechen, dass wir mit der Suche nach einfachen Antworten schlicht überfordert sind. Vielleicht hilft dieses Eingeständnis dabei, anderen auch dann zuzuhören, wenn uns ihr Standpunkt zunächst befremdet. Und womöglich entdecken wir bei dem Versuch, den neuen Wirklichkeiten auf den Grund zu gehen , dass die gemeinsame Werte-Basis, von der aus wir zu so unterschiedlichen Positionen gekommen sind, noch immer wesentlich größer ist, als wir das angenommen haben.
Es geht ja bei all dem nicht um eine „europäische Flüchtlingskrise“, sondern um eine tiefreichende Krise Europas im Gefolge der Uneinigkeit im Umgang mit den humanitären Folgen des nahöstlich-arabischen Kriegsgeschehens und der Unregierbarkeit zahlreicher afrikanischer Staaten. Da ein unkontrollierter Zuzug von Menschen aus diesen benachbarten Regionen schon deshalb nicht die Lösung sein kann, weil er Europas Bevölkerungen sozial und kulturell überfordern würde, ist es unabweisbar vernünftig, dessen Außengrenzen endlich gemeinsam zu schützen.
Zugleich jedoch haben all jene, die Asyl suchen, ein Anrecht auf eine Europa-gerechte – und das heißt menschenwürdige – Aufnahme in der Übergangszeit. Das macht skandalöse Lagerbedingungen, wie sie derzeit auf den griechischen Zufluchts-Inseln herrschen, definitiv untragbar. Das verpflichtet im Inland zur engagierten, fortgesetzten Unterstützung aller Integrationsprojekte. Und es verbietet die zwar rechtlich korrekte, menschlich jedoch unverantwortliche Zurückweisung voll integrierter Lehrlinge.
Noch viel entscheidender aber wird sein, ob Europa Wirksames leisten kann, um – auch im Interesse seiner eigenen Zukunftssicherung – endlich großzügige Projekte vor Ort zu entwickeln, mit denen die Menschen in unserem Nachbarkontinent eine Perspektive bekommen. Auf diese für die nächsten Jahrzehnte existentielle Zukunftsfrage gibt es derzeit noch keine Antwort.
Wir werden sie nur dann finden können, wenn wir uns gegenseitig erlauben, engagiert danach zu suchen, ohne uns die Lösungswege aus vorauseilender Rechthaberei abzuschneiden.
27. September 2018