Die Flüchtlingskrise droht sich zu einer Werte- und Humanitätskrise auszuwachsen, die das europäische Projekt als Ganzes gefährdet.
ACH, EUROPA! Nur zwölf Jahre liegt der letzte EU-Vorsitz Österreichs zurück – und wie anders waren in dieser doch gar nicht so fernen Zeit die Vorzeichen, unter denen er stattfand.
Die ungetrübte Aufbruchsstimmung bei der Auftaktveranstaltung „Sound of Europe“, die am 250. Geburtstag Mozarts im Jänner 2006 in Salzburg über die Bühne ging, ist mir noch in guter Erinnerung. Unter dem Vorsitz von Bundeskanzler Schüssel berieten Europas Politiker damals mit Repräsentanten der Wissenschaft, Wirtschaft und Kunst im Zeichen eines noch ungebrochenen Erweiterungsoptimismus über Zukunftsfragen. Erst eineinhalb Jahre zuvor waren fast alle Nachbarstaaten des ehemaligen „Ostblocks“ zu EU-Mitgliedern geworden, die Erweiterung um Bulgarien und Rumänien stand unmittelbar bevor.
Wohl sprach man auch damals über eine „Europäische Krise“. Gemeint war damit aber lediglich das zähe Ringen um eine neue europäische Verfassung, deren Zustandekommen wegen der zunächst fehlenden Zustimmung der niederländischen und französischen Bevölkerung gefährdet schien. Sie trat dann drei Jahre später als Vertrag von Lissabon in Kraft. Solche Sorgen hätten wir heute gerne!
Die Ausgangslage des aktuellen österreichischen Vorsitzes ist vor allem deshalb bedeutend schwieriger, weil sich die Flüchtlingskrise vor dem Hintergrund dysfunktionaler, nicht mehr lebbarer Vereinbarungen zu einer Werte- und Humanitätskrise auszuwachsen droht, die das europäische Projekt als Ganzes gefährdet.
Während bei der Finanzkrise mit der Europäischen Zentralbank eine unabhängige, gesamteuropäische Institution als inhaltliche Leit- und Kontrollstelle verfügbar war, die am Ende in Abstimmung mit den politischen Instanzen den Weg zu neuen Spielregeln bereitete, fehlt eine vergleichbare Instanz zu Fragen der Migrationspolitik.
Das Dublin-Regelwerk, demgemäß Asylsuchende jenem europäischen Land überantwortet werden, das sie als erstes betreten haben, stellt längst eine Provokation für die davon am meisten betroffenen Staaten dar. Erst langsam setzt sich die nüchterne Erkenntnis durch, dass die mit allzu liberaler Asylpolitik verbundene Einladung zu unkontrollierter Einwanderung letztlich die liberale Gesellschaft gefährdet, wie Eric Frey kürzlich im „Standard“ überzeugend argumentierte. Diesem Themenkreis während des österreichischen Vorsitz-Halbjahres Priorität zu geben, ist deshalb richtig und notwendig.
Abschottung allein wäre aber entschieden zu wenig. Ein mit wirksamem Außenschutz des europäischen Menschenrechtsraumes verbundenes neues Regelwerk muss unabdingbar mit deutlich verstärkten Integrationsanstrengungen gegenüber all jenen einhergehen, die bereits Asyl gefunden haben. Vor allem aber bedarf es der Ergänzung um glaubwürdige friedens- und handelspolitische Initiativen, die den Menschen in den Herkunftsländern in Zukunft weniger Fluchtgründe geben.
Auch wenn uns die Sorgen von heute ratlos zu machen scheinen: noch hat Europa die Chance, auch an dieser Herausforderung zu wachsen.
05. Juli 2018