Der Beginn eines neuen Jahres gehört den großen Themenbögen. Wie es war, wie es wird, welche Mega-Trends sich abzeichnen, von der Digitalisierung über Trump in Davos bis zum Großen Koalitions-Ringen in Deutschland. Ganz zu schweigen von den wuchtigen kalendarischen Gedenkjahren 1918 und 1938. Im Gegensatz dazu widme ich diese Kolumne einem Sachverhalt, der im Vergleich dazu vernachlässigbar erscheint. Und dennoch hat er mich immer wieder beschäftigt, seit ich davon gelesen hatte. Deshalb will ich ihn zur Sprache bringen.
Am 4. Oktober des vergangenen Jahres meldeten die Tageszeitungen einen tragischen Unfall, zu dem es am Vortag am Bahnhof von Puch bei Hallein im Bundesland Salzburg gekommen war. Der Sog eines durchfahrenden Güterzuges wirbelte einen Kinderwagen in die Luft und schleuderte das darin befindliche, einjährige Kleinkind aus dem Buggy auf den Bahnsteig. Das Mädchen erlag noch am selben Nachmittag seinen schweren Verletzungen. Seine Mutter war mit dessen dreijährigem Brüderlein auf der Wartebank für den Lokalzug nach Salzburg gesessen. Als eine Durchsage auf den nahenden Güterzug aufmerksam machte, stand der Dreijährige auf. Die Mutter wandte sich ihm zu. Im selben Moment rasten schon die Waggons vorbei und erfassten mit den von ihnen ausgelösten Luftwirbeln den in der vorgeschriebenen Sperrzone stehenden Kinderwagen.
Untersuchungen setzten ein, in deren Verlauf auch die schockierte Mutter befragt wurde. Eine Videoaufzeichnung zeigte, dass sie sich im erlaubten Bereich innerhalb der Sperrlinie aufgehalten hatte. Und die Nachprüfung des Zugtempos ergab, dass es ebenfalls im erlaubten Rahmen von 100 Stundenkilometern lag. Einige Wochen später informierten die ÖBB über ihre Entscheidung, in Hinkunft eigene Halteschleifen zur Befestigung von Kinderwegen beizustellen. Vier Stück davon hat man in Puch bei Hallein bereits montiert. Nur vorübergehend jedoch und nur im Bahnhof Puch wurde die Durchfahrtsgeschwindigkeit für Güterzüge auf 60 Stundenkilometer herabgesenkt.
Die wohl einzig logische Konsequenz aus diesem sozusagen vorschriftsmäßigen, tödlichen Unfall blieb hingegen aus: nämlich die erlaubten Geschwindigkeiten für Züge, die direkt an den Warte-Bahnsteigen vorbeiführen, überall dauerhaft herabzusetzen. Niemand wird jemals die Mutter des verunglückten Kindes entschädigen können. Aber eine Gesetzesänderung, mit der sich ähnliche Katastrophen in Zukunft vermeiden ließen, wäre wenigstens ein Zeichen dafür, dass man über ihr sinnloses, fremdverursachtes Leid nicht einfach hinweggeht.
Was sich in Puch ereignet hat, scheint mir geradezu exemplarisch für zahlreiche andere Probleme entlegener Regionen, an denen die Schnellzüge zukunftsträchtiger Entwicklungen in achtloser Übergeschwindigkeit vorbeibrausen. Dabei wäre verkehrspolitisch und infrastrukturell gerade mit Hilfe neuer Technologien Vieles möglich, was uns davor bewahren könnte, noch weiter in die Sackgasse einseitiger Urbanisierung zu geraten.
18. Jänner 2018