Mitten in den ökonomischen und geopolitischen Turbulenzen einer Welt, deren politische und wirtschaftliche Machthaber sich immer schwerer dabei tun, einen gemeinsamen Takt zu finden, ging dieser Tage der Wirtschafts-Nobelpreis an den Verhaltens-Ökonomen Richard Thaler. Während die einen begrüßen, dass damit eine vermeintlich unterschätzte Forschungsrichtung endlich vor den Vorhang geholt wird, sehen andere in der Entscheidung für ein Orchideenfach schlichte Realitätsverweigerung. Angesichts eines dramatischen Nachholbedarfs der Wirtschaftswissenschaften in zentralen Fragen – von der digitalen Ökonomie über die wachsende Ungleichheit bis zur überfälligen Suche nach einem global durchsetzbaren Besteuerungssystem von Großunternehmen – erscheint mir diese Kritik berechtigt.
Jedenfalls hätte der Preis, wenn er schon an einen „Neuro-Ökonomen“ geht, wohl mit einem anderen, weltweit ausgewiesenen Spitzenforscher geteilt werden müssen: der in Zürich lehrende Österreicher Ernst Fehr gehört zu den angesehensten und meistzitierten Vertretern dieses Genres und steht seit Jahren auf der Nobelpreis-Warteliste ganz oben. Ihm hätte es gebührt, gleichrangig mit seinem Kollegen aus Chicago ausgezeichnet zu werden.
Was Thaler seinem Kollegen Fehr voraushaben mag, ist die Prägung eines eigenen, mittlerweile zum Modewort gewordenen Begriffs. In seinem danach benannten Buch „Nudge“ schildert er, wie kleine Anreize – auf gut österreichisch übersetzt: Schubser – den Ausschlag geben können, um das Verhalten von Individuen in eine gewünschte Richtung zu ändern. Alltägliche Situationen in der persönlichen Lebensführung, im Straßenverkehr oder in der Erziehung sollen durch geschicktes „Nudging“ leichter bewältigt werden.
In kontrollierten Versuchsanordnungen bemüht sich die „experimentelle Ökonomie“ um den Nachweis, dass wir nicht ausschließlich rational handelnde Nutzenmaximierer sind und mehr drauf haben als bloße „Wirtschaftssubjekte“. Nachdem selbst die Vertreter des klassischen Modells eines allzeit effizienten Marktes nicht mehr an den „homo oeconomicus“ als Realfigur glauben, scheint das doch etwas viel des Aufhebens um eine naheliegende Erkenntnis zu sein. Statt die Wissenschaft vom Menschen neu erfinden zu wollen, wären die Ökonomen gut beraten, sich mit Vertretern der Philosophie und Psychologie auszutauschen, die sich bekanntlich schon länger mit dem Menschlichen und Allzumenschlichen auseinandersetzen.
Es ist der Fluch der Spezialisierung, dass jene Disziplinen, die sich mit unseren Lebensbedingungen und Handlungsweisen befassen, aufgesplittert und einander entfremdet sind. Lieber dilettieren Philosophen ohne Ökonomie-Kenntnisse über wirtschaftliche Welt-Zustände, während Experimental-Ökonomen in der Illusion verharren, neue Menschenbilder definieren zu können und Politologen gerne wirklichkeitsfremde Sichtweisen des Wirtschaftens propagieren. Wie schön wäre es, sie alle miteinander ins Gespräch zu bringen. Wer das schafft, wäre Nobelpreis-würdig.
19. Oktober 2017