Fünfzig Tage nach Ostern nun also Pfingsten, das Fest des Heiligen Geistes, der Inspiration und geistigen Erneuerung. Die orthodoxen Kirchen feiern zu diesem Anlass auch die Dreifaltigkeit. In der Moskauer Tretjakow-Galerie kann man bewundern, wie der große Ikonenmaler Andrej Rublow in seiner zu Anfang des 15. Jahrhunderts entstandenen Darstellung der so rätselhaften Trinität mehr darüber sagt, als sich in Worten erklären lässt. Unter anderem davon wollte ich nach Rückkehr von einer Entdeckungsreise in die Hauptstadt Russlands in dieser Kolumne eigentlich erzählen.
Dann aber kamen mir all die Berichte über die ganz und gar unpfingstlichen politischen Zusammenkünfte in die Quere, bei denen – vom NATO-Gipfel über das Treffen der EU-Spitzen bis zur G7-Tagung auf Sizilien – orientierungslos und irgendwie ent-geistert wirkende Darsteller offensichtlich nicht immer wussten, welche Rolle sie in welchem Stück auf der Weltbühne spielen sollten. Aber wenigstens die Gruppenfotos scheinen geklappt zu haben.
Ein „enfant terrible“ nicht an den Rändern sondern an der Spitze der Weltpolitik: das gab es seit ewigen Zeiten nicht mehr. Auch der Papst-Besuch des US-Präsidenten scheint wenig bewirkt zu haben. Keine Einigung auf ein gemeinsames Flüchtlingshilfe-Programm, keine koordinierte Initiative für Ernährungssicherheit, kein Bekenntnis zum Pariser Umwelt-Abkommen. Dafür – zur Freude der Rüstungsindustrie – bereitwilliges Apportieren von NATO-Staatschefs, wenn es um die Erhöhung der Militärausgaben geht.
Europas politische Spitzen sollten und dürfen sich vom gezielten „Bullying“ des US-Präsidenten nicht weiter einschüchtern lassen. Schneller als noch vor kurzem angenommen ergibt sich nun die Notwendigkeit, sich selbst-bewusst gegen sein von Militarisierungs- und Sozialabbaukonzepten dominiertes Wirtschaftskonzept abzugrenzen. Eine gute Gelegenheit dazu bietet der in wenigen Wochen unter Vorsitz von Kanzlerin Angela Merkel in Hamburg stattfindende G-20-Gipfel. Dort gälte es, eine eigenständige Agenda zu vertreten, die dem europäischen Modell der Sozialen Marktwirtschaft endlich auch globale Konturen verleiht.
Umweltverantwortung statt Ressourcenverschwendung und Klimazerstörung; Globalisierung und Freihandelspolitik nach einem an den Bedürfnissen der Menschen ausgerichteten Maß; konsequentes Trockenlegen von Steueroasen; Bildungs- und wirtschaftliche Aufbauprogramme für in der Armutsspirale verfangene Staaten in einer den Rüstungsbudgets vergleichbaren Größenordnung; Konzentration der Flüchtlingshilfe auf die Herkunftsländer und deren Nachbarstaaten; eigenständige friedenspolitische Initiativen in den uns benachbarten Unruhezonen; Umsetzung der längst auf dem Tisch liegenden Pläne für eine gemeinsame Sicherheitspolitik.
Wenn die amerikanische Provokation dazu führt, dass wir bei der Suche nach einem europäischen Pfingsterlebnis endlich viel entschiedener auf wertorientierten politischen Antworten bestehen, hätte sie sogar einen produktiven Zweck erfüllt.
01. Juni 2017