Der neue Präsident unserer westlichen Welt hat in seiner bestürzend inhaltsleeren Antrittsrede das, was man die internationale Gemeinschaft nennt, gar nicht erst erwähnt. Die mehrfach wiederholte Beschwörungsformel „America first“ signalisiert den Abtausch der aufgeklärten, weltpolitischen Führungsrolle der USA gegen einen unverhohlenen globalen Allmachts-Anspruch. Sieben Jahrzehnte einer unverbrüchlichen Nachkriegsverbundenheit wären damit Vergangenheit, die transatlantische Partnerschaft verkümmert zu einem Zweckbündnis. Dumm nur, dass die EU darauf nicht vorbereitet ist, sondern gerade vor Austrittsverhandlungen mit einem Nettozahler-Mitgliedsstaat steht, dessen Wirtschaftsleistung mehr als fünfzehn Prozent der europäischen Wertschöpfung ausmacht.
Trumps Hauptthema, die Abwanderung von Arbeitsplätzen und permanente globale Billiglohnkonkurrenz, beschäftigt längst auch den klassischen europäischen Mittelstand. Eine hektische Suche nach Lösungen gegen die damit verbundenen Zukunftsängste hat eingesetzt. Der Konsens der traditionellen Volksparteien der linken und rechten Mitte über die Segnungen des Binnenmarktes und der mit ihm verbundenen Wanderungsfreiheit wird brüchig.
Dass Bundeskanzler Kern an Einschränkungen der Zuwanderungsmöglichkeiten von Arbeitskräften aus Mitgliedsstaaten mit deutlich niedrigeren Lohnniveaus denkt, ist ein erster sichtbarer Schritt in diese Richtung. Sein Vorschlag rüttelt an einem der Grundpfeiler des europäischen Projekts. Beim Weltwirtschaftsforum in Davos gab er ganz offen zu, sich des Tabubruchs bewusst zu sein. Dem darob befremdeten Kommissionspräsidenten Juncker beschied er, mit seinem Vorstoß verhindern zu wollen, dass nach den nächsten Nationalratswahlen eine Partei mit wesentlich radikaleren Lösungsansätzen den Ton angeben könnte.
Das Gipfeltreffen in Davos gleicht indessen zusehends einem „Monte di Verita´“, auf dem in hochbewachter Abgeschlossenheit Wirklichkeiten wahrgenommen und ausgesprochen werden, deren Formulierung man während des Jahres kritischen Randgruppen überlässt. So lauschte man dem Politikberater Ian Bremmer, der meinte, der überall wuchernde Populismus werde erst dann beherrschbar, wenn man ihn nicht als Problem, sondern als Symptom tieferliegender Sorgen erkennt – und sah sich mit Nobelpreisträger Stiglitz einig darüber, dass die Früchte der Globalisierung künftig besser verteilt werden sollten.
Ob solche Gedanken auch ihren Weg in den Alltag der Teilnehmer finden werden, ist allerdings fraglich. Spätestens wenn es um Fragen wie die Beseitigung von Steueroasen, die Herstellung fairer Produktionsbedingungen in Niedrigstlohn-Ländern oder ein Regulativ zur Begrenzung überhöhter Saläre geht, wird es eine unwiderstehliche Verlockung sein, wieder in den gewohnten Lobby-Modus zu verfallen und all diese ach so unausgereiften Ideen nicht einmal zu ignorieren. Aber ich will zu Beginn dieses Jahres optimistisch sein und behaupten, die System-Reformer seien dabei, das Glas halb voll zu machen.
25. Jänner 2017