die furche - 204

Der italienische Patient

 

Nun gibt es also doch keine Stories über Österreich als „Versuchsstation des Weltuntergangs“ (© Karl Kraus). Ab sofort gilt die ganze Aufmerksamkeit des zur Präsidentschaftswahl aus aller Welt angereisten Medientrosses unseren Nachbarn in Italien. Dort wurde am vergangenen Sonntag die von Ministerpräsident Matteo Renzi vorgeschlagene Verfassungsreform abgelehnt. Dass die Staatsverschuldung in der drittgrößten Volkswirtschaft Europas schon bei über 130 Prozent des Bruttosozialprodukts liegt, erschwert die Situation nach dessen Rücktritt ebenso wie eine manifeste Krise des Bankensektors.

Während die nördlicheren EU-Staaten ihre Bankensysteme in der Finanzkrise mit Hilfe von Staatsgeldern saniert haben, ist Italien dieser Weg versperrt. Denn die neuen Spielregeln der Bankenunion sehen vor, dass sich anstelle der Steuerzahler nun auch Anleihegläubiger durch teilweisen Forderungsverzicht an der Rettung schwacher Institute beteiligen müssen. Was aufs erste Hinhören vernünftig klingt, bedeutet in der Praxis, dass viele „kleine“ Anleger ihr hart erspartes Geld verlieren würden. Renzi bestand deshalb bis zuletzt darauf, doch Budgetmittel zur Bankenrettung einzusetzen – notfalls gegen geltende EU-Regeln.

Unsicherheit über die weitere Entwicklung des Finanzsystems ließ schon vor der Abstimmung die Kosten für italienische Staatsanleihen um ganze zwei Prozent ansteigen. Die höhere Anleihenrendite führt zu Kurseinbußen bei den früher begebenen, niedriger verzinsten Staatspapieren und erzwingt deren Abwertung in den Bilanzen der ohnehin schon geschwächten Banken. Dies beschleunigt die Abwärtsspirale und erhöht deren Eigenkapitalbedarf zusätzlich. Die unglückselige Bilanzierungsvorschrift, Wertpapiere zu Marktwerten einzubuchen, verstärkt somit die Krise nur noch mehr.

Das weitere Schicksal des italienischen Patienten bereitet auch der Europäischen Zentralbank große Sorgen. Deren Präsident Mario Draghi hat bekanntlich versprochen, alles Erforderliche zu tun („whatever it takes“), um den Zusammenhalt des Euro zu sichern. Man wird ihn nun erst recht beim Wort nehmen. Ob dafür der verstärkte Ankauf von italienischen Staatsanleihen ausreichen wird, ist offen. Seit einigen Monaten hat sich nämlich die Kapitalflucht aus Italien in andere europäische Länder beschleunigt – ein Zeichen des Misstrauens in den dauerhaften Verbleib Italiens in der Eurozone.

Schon wird laut darüber nachgedacht, Italien bei der Bankensanierung aus Mitteln des permanenten Rettungsschirmes ESM zu unterstützen. Das aber wäre gleichbedeutend mit teilweiser Abgabe von Souveränität an eine Art von „Troika“. Eine solche Unterwerfung unter fremde Regeln würde erst recht die italienischen Euro-Skeptiker stärken.

Nicht nur einige von Italiens Grossbanken sind ein Sanierungsfall – das ganze Konstrukt der aus dem Ruder gelaufenen Bankenregulierung und Bilanzierungsvorschriften erweist sich als dysfunktional, weil es krisenverstärkend statt -dämpfend wirkt. Eine Neukonzeption ist überfällig.

07. Dezember 2016

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