Der Wettkampf um Meinungen wird in Zeiten der Social Media immer schneller und härter. Sobald ein neues Thema auftaucht, spalten sich Gegner und Befürworter eilends in Lager auf: Daumen rauf oder Daumen runter. Dazwischen bleibt kaum Platz für ausgewogene Meinungen. Mag das Thema noch so komplex sein – uninformierte Entscheidungsfreudigkeit ist gefordert, das Bauchgefühl feiert Triumphe über die Ratio.
Der Abstand zum politischen System ist so groß geworden, dass es vielfach nicht mehr als repräsentativ wahrgenommen, sondern nur mehr von außen gesehen und je nach Stimmungslage entweder „geliked“ wird oder eben nicht. Die von „früher“ gewohnte Übersichtlichkeit national getroffener Entscheidungen wurde längst abgelöst durch supranationale Vorgänge, die uns undurchschaubar, wenn nicht undurchsichtig erscheinen. Wir nehmen an ihnen nicht teil und niemand erwartet unsere Anteilnahme daran. Unser mit der Teilnahms-Losigkeit wachsendes Misstrauen durchbrechen wir nur dann, wenn es ein Thema schafft, uns aufzuregen. Dann kippt die politische Routine, dann ist Krisenmanagement angesagt.
Die Vorgänge rund um den Abschluss eines Handelsabkommens zwischen Europa und Kanada (CETA) zeigen, wie brisant dieses demokratiepolitische Entfremdungs-Problem ist.
Befragt man nämlich Menschen, die mit dieser Materie vertraut sind, bescheinigen sie dem Abkommen einen außergewöhnlich hohen Qualitätsstandard. So wird im Abkommen mit Kanada in Bezug auf den Investitionsschutz bewusst von der Praxis klassischer Schiedsgerichte abgegangen, wie sie den über 2000 seit 1959 geschlossenen internationalen Abkommen zugrunde liegen. Eine permanente Entscheidungsinstitution, deren Mitglieder durch ein objektiviertes Berufungsverfahren ausgewählt werden, soll dafür sorgen, dass Lobbys keinen Einfluss nehmen können. Überdies werden die Schiedsverfahren in vollständiger Transparenz abgeführt. Für unberechtigte Klagen gibt es einen eigenen Mechanismus, um deren schnelle Abweisung zu ermöglichen. Jedem Schiedsverfahren ist dabei nicht nur das geltende Völkerrecht, sondern auch das innerstaatliche Recht des Gaststaates einer Investition zugrunde zu legen, etCETAra, etCETAra….
Für die Darlegung der guten Gründe, warum derartige Verträge – entgegen der derzeitigen Verdachtslage – nicht den Konzernen zuliebe gemacht werden, reicht der Platz dieser Kolumne nicht.
Die Sachlage scheint so zu sein, dass das mit den USA weitgehend vorverhandelte Vertragswerk („TTIP“) die erwähnten Qualitäten des europäisch-kanadischen Abkommens vermissen lässt. Deshalb ist es wohl vernünftig und gut zu verantworten, CETA zu unterschreiben und TTIP zurück an den Start zu schicken. Es hätte jedenfalls wenig Sinn, den Sack zu schlagen, wenn eigentlich der Esel gemeint ist. Und noch weniger sinnvoll ist es, das Abkommen zum Thema der Bundespräsidenten-Stichwahl oder gar einer späteren Volksabstimmung zu machen.
27. Oktober 2016