Erstmals seit langem sind 2015 die Staatsschulden in der Eurozone gesunken. Das klingt nach einer guten Nachricht. Bei näherem Hinsehen zeigt sich allerdings, dass der Rückgang der Verschuldung von 92,0 Prozent 2014 auf nunmehr 90,7 Prozent praktisch ausschließlich dem deutschen Budgetüberschuss zu verdanken ist. Von einer EU-weiten Trendwende kann daher keine Rede sein.
Auch andere europäische Durchschnittswerte haben nur geringe Aussagekraft. Am Beispiel der Inflationsrate: Wenn Belgien gerade eine Preissteigerung von 1,6 Prozent aufweist und Spanien einen Rückgang von 1 Prozent, Deutschland hingegen eine Mini-Inflation von nur 0,1 Prozent – welche Schlüsse soll man dann aus einer Inflationsrate in der Eurozone von aktuell genau Null ziehen? Dennoch betreibt die EZB ihre milliardenschweren Anleihekäufe unverdrossen weiter, um diesen Wert auf knapp unter 2 Prozent hochzutreiben.
Nicht anders sieht es bei der Messung der Arbeitslosenquote aus. Dass sie im Durchschnitt der Eurozone abnimmt – auf zuletzt 10,3 Prozent – ist für Spanien mit seinen noch immer über 20 Prozent Beschäftigungslosen ein geringer Trost. Ebenso wenig für Österreich, das seine langjährige Spitzenposition in diesem Bereich längst verloren hat.
In all diesen Themenfeldern – Staatshaushalt, Geldwertentwicklung, Beschäftigungspolitik – geht es offensichtlich um länderspezifische Problemstellungen, die sich nicht ohne weiteres „verdurchschnittlichen“ lassen. Sie müssen auf der Ebene des Nationalstaates gelöst werden und sind nur zum geringsten Teil durch Waffen aus dem geldpolitischen Arsenal der EZB bekämpfbar.
Gerade bei der Arbeitslosigkeit braut sich einiges zusammen. Sobald die Bundespräsidentenwahl endgültig entschieden ist, wird sie wohl zum nächsten großen Thema werden und die innenpolitische Bühne beherrschen. Denn die Folgen der „Binnenglobalisierung“ – also der Umsetzung des europäischen Arbeits-Binnenmarktes – erweisen sich spätestens seit der Öffnung für rumänische und bulgarische Staatsbürger als eine bisher weit unterschätzte Herausforderung.
Während nämlich seit 2013 über 26.000 Arbeitsplätze von Österreicher/innen verloren gingen, sicherten sich annähernd 40.000 Zuwanderer aus den neuen EU-Mitgliedsländern des mittleren und südlichen Europas die im selben Zeitraum neu entstandenen österreichischen Arbeitsplätze. Dazu kommt eine immer massivere Konkurrenz durch entsendete Beschäftigte, die ihre Arbeitskraft angesichts der in ihren Heimatländern wesentlich niedrigeren Lohn(neben)kosten billiger anbieten. Zusätzlich werden viele tausend Flüchtlinge in den Arbeitsmarkt drängen, sobald sie einen positiven Asylbescheid erhalten haben. Dass im Zuge dieser Entwicklungen die Kaufkraft sinkt, erklärt im Übrigen das schwache Wirtschaftswachstum und die niedrige Inflation.
Wem es in diesem Umfeld gelingt, der breiten Bevölkerung die Angst zu nehmen, das Rennen um immer schlechter bezahlte Jobs zu verlieren, der wird politisch die besten Chancen haben.
28. April 2016