Sind die heftigen Einbrüche der Aktienkurse an den Weltbörsen seit Jahresbeginn Vorzeichen der nächsten Finanzkrise oder handelt es sich um einen behebbaren Störfall? Dass es auf diese Frage keine eindeutige Antwort gibt, zeigt, wie weit wir von einer nachhaltigen Sanierung des globalen Finanzsystems noch entfernt sind.
Die Kurskorrekturen hatten zunächst durchaus reale Auslöser: sie reichen von der Unsicherheit über die Entwicklung in China über Konjunkturkrisen in ehemaligen Hoffnungsmärkten wie Russland oder Brasilien bis zu der höchst angespannten geopolitischen Lage. Das Stimmungsbarometer der Globalisierung scheint auf einen Tiefststand gesunken zu sein. Eine der Folgen davon sind sinkende Erdölpreise. Von Rohstoffen abhängige Staaten greifen daher auf ihre Reserven zurück und stoßen Wertpapiere ab, um die laufenden Kosten ihres Staatshaushaltes abzudecken und den Verlust von Devisenreserven einzubremsen. Den Abwärtstrend verstärkend wirkt die Tatsache, dass hochtechnische Börsen-Handelssysteme herdenartiges Anlegerverhalten unterstützen statt es zu verhindern.
Dass aber der Kurssturz bei den globalen Großbanken so besonders drastisch ausfällt, hat wohl auch damit zu tun, dass sie allesamt nach wie vor viel zu geringe Risikopuffer aufweisen.
Eine der halbherzigen Scheinlösungen zur Eigenkapitalstärkung waren nachrangige Anleihen. Sie können, wenn es hart hergeht, in Aktien der notleidenden Bank gewandelt werden. Allein in den letzten drei Jahren wurden 90 Milliarden Euro in solche Anleihen investiert – von Anlegern, die an höherer Verzinsung interessiert waren und durchaus zur Zufriedenheit der Regulatoren, die darin eine Stärkung des Bankensystems sahen. Nun aber, mitten im Kursgewitter, erweist sich dieses vermeintliche Heilmittel sogar als Krisenverstärker. Nervöse Anleger tätigen Panikverkäufe, verbreiten schlechte Stimmung und drücken das Kursbild nur noch mehr. Die Deutsche Bank sah sich bereits gezwungen, den Rückkauf dieser Wertpapiere anzubieten – was am wenigsten im Sinne der Erfinder ist.
Es gibt aber noch einen anderen, durchaus handfesten Grund für das Kursbeben bei den Banken: seit Beginn dieses Jahres werden auch Anleihegläubiger zur Sanierung von Banken mit herangezogen. Dieses „Bail-In“ genannte Verfahren wurde im Rahmen der Bankenunion eingeführt. Es soll sicherstellen, dass für Bankenrettungen nicht mehr wie bisher in erster Linie die Steuerzahler geradezustehen haben. Ab sofort sind demnach Investoren gut beraten, sich von der Solidität einer Bank selbst ein Bild zu machen. Sind sie davon nicht so recht überzeugt, werden sie vermutlich nicht nur deren Anleihen sondern gleich auch deren Aktien verkaufen. Kein Wunder also, dass schwach kapitalisierte Großbanken gerade jetzt in ein Kurstief stürzen.
So gesehen ist die aktuelle Situation Teil eines notwendigen, wenn auch schmerzhaften Lernprozesses, an dessen Ende hoffentlich irgendwann ein mit ausreichendem Eigenkapital ausgestattetes Bankensystem stehen wird.
18. Februar 2016