die furche - 178

Zu Lasten der Briefkästen

 

Wenn auch die jüngste Tagung der G20-Staaten im zur Hochsicherheitszone aufgerüsteten türkischen Antalya von den Terroranschlägen in Paris überschattet war – die im Vorfeld auf Expertenebene vorbereiteten wirtschaftlichen Kernthemen blieben dennoch auf der Tagesordnung.

In der Schlüsselfrage nach mehr Steuergerechtigkeit geht man nach vielen mühsamen Trippelschritten nun endlich konsequent vor: durch erhöhte Transparenz und verbindliche Meldepflichten soll die Schein-Verlagerung von Geschäftsaktivitäten in Briefkastenfirmen auf Steuerinseln gestoppt werden. Das so einfache wie plausible Ziel des unter Federführung der OECD verabschiedeten 15-Punkte-Plans: Unternehmen und private Sondervermögen sollen einen fairen Anteil zum Erhalt der sozialen, bildungs-, gesundheits- und sicherheitspolitischen Grundfunktionen ihrer Wohnsitzstaaten leisten. Darin liegt einer der so dringend notwendigen Impulse für ein endlich wieder von der Realwirtschaft und nicht nur der Geldschwemme der Notenbanken getragenes Wachstum.

Europa selbst hat hier beträchtlichen Aufholbedarf. Während rigide Budgetsanierungspläne im Gefolge der Staatsschuldenkrise tief in nationale Budgetrechte eingreifen, hantiert man im Steuerbereich mit Glacé-Handschuhen. Zuletzt zeigte sich das in der Debatte um die luxemburgischen, niederländischen und irischen Sonderrechte für steuerflüchtige Konzerne. Der Weg zu einer einheitlichen Unternehmensbesteuerung in der EU mag noch weit sein, aber es lohnt sich, ihn konsequent weiter zu beschreiten. Immerhin schätzt Ökonomie-Jungstar Gabriel Zucman, Spezialist für Steueroasen, den jährlichen Steuerentgang durch versteckte Finanzvermögen auf nicht weniger als 130 Milliarden Euro jährlich.

Seine Kollegin Brooke Harrington von der Copenhagen Business School hat erstmals Studien über die Arbeitsweise jener Vermögensverwalter angestellt, die den „Ultra-High-Networth-Individuals“, wie die Superreichen in der Sprache der Investmentbanker heißen, zur faktischen Steuerbefreiung verhelfen. Um möglichst realitätsnah recherchieren zu können, absolvierte sie die einschlägige Ausbildung an einer auf Steuer-Fluchthilfe spezialisierten Kaderschmiede in London.

Couragierte junge Wissenschaftler sind offensichtlich bereit, sich vom gefügigen Mainstream der universitären Finanzwirtschaft abzusetzen und die empirischen Grundlagen für jene steuerpolitischen Weichenstellungen zu schaffen, die nötig sind, um die Schieflagen des Finanzsystems zu korrigieren. Das ist nicht nur ein Stück Generationengerechtigkeit – es ist auch eine ordnungspolitische Anstrengung, die dazu beitragen kann, dass unser im Grundsatz so erfolgreiches sozial-marktwirtschaftliches System glaubwürdig bleibt.

Die G20 kommen als Repräsentanten von mehr als 90 Prozent der weltweiten Wertschöpfung in ihrer Gestaltungsmacht einer „Weltregierung“ sehr nahe. Noch nie hatten sie so viel Verantwortung für die Schaffung global tauglicher Spielregeln wie heute.

19. November 2015

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