Im Foyer der Großen Aula, am Schnittpunkt des Festspielbezirks mit dem Geviert der alten Universität und der Kollegienkirche, moderierte ich zum Ausklang der Salzburger Hochschulwochen eine abendliche Diskussion über das diesjährige Generalthema „Prekäre Humanität“. Das Gespräch mit Kunstschaffenden sollte eine Abrundung und Ergänzung zum theologisch-philosophischen Kern der Tagung sein. Seit die Festspiele ihrem Hauptprogramm eine „Ouverture Spirituelle“ mit musikalischen Erkundungen der Weltreligionen voranstellen, bieten sie den traditionsreichen Hochschulwochen einen kulturellen Resonanzboden. Zeitgleich gab es auch heuer wieder eine universitäre „Triennale“, bei der Christen, Juden und Muslime mehr als zwei Jahrhunderte nach dem Entstehen von Lessings „Ringparabel“ die Möglichkeiten einer „abrahamitischen Ökumene“ erkunden – ein Unterfangen, das schon einmal als erfolgversprechender gegolten haben mag als heute.
Denn die Hoffnung auf Globalisierung eines auf der Erklärung der Allgemeinen Menschenrechte beruhenden Gesellschaftsmodells hat sich nur zum Teil erfüllt. Die vermeintlich so geradlinigen Wege zu einer besseren Welt sind krumm und unberechenbar geblieben, das humanistische Leitbild merkwürdig geschwächt.
Wenn es im neu inszenierten Festspiel-„Fidelio“ nicht mehr zur welt-umarmenden Wiederbegegnung von Florestan und Leonore kommen darf, auf die Beethovens einzigartiges Werk ja vor allem hinzielt, wirkt das wie ein Symbol für diese prekär gewordene Humanität. Der Held – wunderbar gesungen und gespielt von Jonas Kaufmann – hat sich nämlich gleich nach seiner Befreiung aus dem Kerker dem Regiediktat von Claus Guth zu unterwerfen und erliegt den psychischen und physischen Folgen seiner quälend langen Haft. Ihm und uns bleibt somit die „namenlose Freude“ am Gelingen der privaten wie politischen Wende zum Guten versagt.
Dass unsere Salzburger Diskussion dennoch nicht in Pessimismus verfiel, war vor allem den belebenden Beiträgen der mitwirkenden Kreativen zu verdanken, die sich in ihrem Schaffen ganz augen- und sinnfällig mit dem menschlich Naheliegenden befassen. Kurt Kaindl, Mitbegründer der Galerie Fotohof, tut es als fotografischer Begleiter des Schriftstellers Karl Markus Gauß auf dessen Erkundungsreisen an den Rändern Europas. Aufmerksame WahrNehmung der Anderen und behutsames Eingehen auf Identitäten wird bei ihm zum Türöffner für Humanität.
Nach ihm berichtete die in Wien und Mumbai lebende Sozial-Architektin Martina Spies mit begeisternder Anschaulichkeit, wie sie gegen unzählige Widerstände mitten im größten Slumgebiet Mumbais Kinderspielplätze und Frei-Räume für Bildung schafft. Ihre Erzählung über das Sozialprojekt „Anukruti“ (in der Hindu-Sprache: kleine, kreative Räume) macht Mut, konkret zu helfen, auch und vor allem dann, wenn – wie etwa in der akuten Flüchtlingsfrage – die „große Lösung“ noch lange nicht sichtbar ist.
Prekär wird Humanität offensichtlich erst dann, wenn wir verlernt haben, hinzuschauen und pragmatisch zu handeln.
13. August 2015