die furche - 169

Option für einen geordneten Austritt

 

Verfangen im Labyrinth der Maßnahmenpakete, hin- und hergerissen zwischen den Interessen der eigenen Wähler und denen eines gesamteuropäischen Ausgleichs, auf den hektischen Gipfeln der zunehmenden Ratlosigkeit bemüht, vor der Geschichte nicht als Spielverderber dazustehen, umringt von twitternden Wegelagerern: so erleben wir Europas politische Entscheidungsträger in diesen schicksalhaften Tagen.

Wie sehr die Griechenland-Irrfahrt selbst Finanzmarktprofis überfordert, lässt sich an der lichtvollen Zeile ablesen, mit der eine führende internationale Großbank ihren aktuellen Bericht über das Marktgeschehen übertitelt: „Griechenland dürfte für weitere Schwankungen sorgen – nach oben oder unten“ heißt es da in geradezu meteorologischer Genauigkeit.

Das Vertrauen in die grundsätzliche Lösbarkeit der ultrakomplexen Aufgabe ist in diesen Tagen im selben Ausmaß geschwunden, wie das Bedürfnis gestiegen ist, den gordischen Knoten mit einem unkonventionellen Lösungsansatz zu durchschlagen. Die Gründungsdogmen des Euro sind in einer Weise unter Druck geraten, dass wir um neue konzeptionelle Ansätze nicht herumkommen werden.

Drei mögliche Wege zeichnen sich ab: Erstens die Flucht nach vorne in Richtung einer politischen Union mit klaren Durchgriffsrechten in die Budgets der Mitgliedsländer, einer gesamteuropäischen Einlagengarantie und einer umfänglichen Sozial(Transfer-)union. Also genau jene End-Ausbaustufe, auf die das Euro-Projekt immer angelegt war, bevor uns die Folgekosten der Bankenkrise in eine gesamteuropäische Staatsschuldenkrise getrieben und zur Pfadabweichung gezwungen haben.

Zum zweiten der Verzicht auf eine solche – realpolitisch derzeit wohl utopische – Vertiefung, verbunden mit dem Versuch, die Verschuldungsobergrenzen im Sinn einer „virtuellen Fiskalunion“ strenger als bisher zu überwachen. Die jüngsten Erfahrungen zeigen, dass dieser pragmatische Ansatz nicht überall umsetzbar ist.

Eine dritte Variante ist absolutes Neuland. Sie dient nur für den Ausnahmefall, sollte aber ab sofort nicht mehr ausgeschlossen werden: dass nämlich einzelnen Euro-Ländern ein technischer Weg eröffnet wird, die Eurozone auch wieder zu verlassen – und zwar ohne deshalb die EU-Mitgliedschaft aufzugeben. Eine höhere budgetäre Eigenverantwortlichkeit, wechselkurspolitische Freiheitsgrade und eigenständige Geldpolitik könnten die anfänglich höchst schmerzhaften Nachteile des Austritts über die Jahre ausgleichen. Gesunden Euro-Staaten würde sich diese Option auf Basis geeigneter Spielregeln sogar weitgehend schmerzfrei eröffnen. Finnland wäre wohl der erste Kandidat, dem dieser Weg nach dem Griechenland-Drama als attraktiv erscheinen könnte.

Die aktuellen Ereignisse zwingen zu neuen Sichtweisen. Wir brauchen ein Regelwerk, das EU-Mitgliedsstaaten einen geordneten Euro-Austritt erlaubt, ohne das europäische Projekt zu gefährden. Erst dann kann es heißen: scheitert ein Euroland, scheitert Europa noch lange nicht. 

16. Juli 2015

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