die furche - 167

Abstieg vom Feindbilderberg

 

Geopolitische Katastrophen, ein nach wie vor viel zu dominantes Finanzsystem, der unverantwortlich lasche Umgang mit dem Weltklima: es gibt wahrlich ausreichend Gründe, gegen globale Fehlentwicklungen zu protestieren. Aufgestaute Sorgen und Ängste, aber auch der Zorn darüber, dass naheliegende Lösungen oft viel zu lange aufgeschoben werden, artikulieren sich nicht immer nur in wohlgesetzten Manifesten und eloquenten Blog-Einträgen, sie entladen sich mitunter auch auf der Straße. Dabei kann man allerdings leicht in die falsche Gesellschaft geraten.

Zuletzt zeigte sich das bei den Protesten gegen das G7-Treffen im bayrischen Elmau und die Bilderberger-Tagung im tirolischen Telfs. Zwar setzte ein Großaufgebot an Sicherheitskräften und die Mehrheit der Demonstranten auf Deeskalation, sodass es weitgehend friedlich zuging. Dennoch ist ein fataler Kreislauf zu beobachten: auf Negativ-Schlagzeilen konditionierte Medien zeigen umso mehr Interesse, je größer die erwartbare Eskalation ist. Einige der Protestgruppen bedienen diesen Anreizmechanismus nur allzu bereitwillig.

Aggressive Sprache und anarchistische Rhetorik bilden dann nicht selten den kleinsten gemeinsamen Nenner ideologisch höchst gegensätzlicher Gruppierungen. So mischten sich in Telfs Globalisierungskritiker mit linken und nationalistischen Splittergruppen nebst einer ehemaligen Pegida-Sprecherin. Einig schienen sie nur im Feindbild – und in der bei näherer Betrachtung doch reichlich kühnen Forderung, die hohen Kosten für Sicherheitsmaßnahmen, deren Notwendigkeit man selbst herbeiprovoziert hat, den Tagungsveranstaltern anzulasten.

Aber wäre die Welt ohne derartige Gesprächskreise besser dran? Nimmt irgendjemand ernsthaft an, der Entfall etwa des Weltwirtschaftsforums in Davos oder der seit 1954 jährlich tagenden Bilderberg-Konferenz wäre der guten Sache dienlich? Deren friedensstiftende Gründungsidee geht auf den polnischen Literaturwissenschaftler und Politikberater Józef Retinger zurück, den von der paneuropäischen Idee des Altösterreichers Richard Coudenhove-Kalergi überzeugten Mit-Initiator des Europarates. Mit den Bilderberg-Konferenzen wollte er nach den Verheerungen des Krieges das Gespräch zwischen den wirtschaftlichen und politischen Eliten der USA und Europas neu in Gang bringen. Österreich ist unter den Bilderbergern meist überproportional stark vertreten, in diesem Jahr auch durch Bundespräsident Heinz Fischer. Die vollständige Teilnehmerliste findet sich – ganz im Gegensatz zu ihrem verschwörungstheoretisch aufgeladenen Ruf – auf der Homepage der traditionsreichen Organisation.

Nach dem Abstieg vom Feindbilderberg stehen nun wieder konstruktivere Formen der Auseinandersetzung offen. Das Beispiel der durchaus wirksamen EU-Bürgerinitiative zum transatlantischen Handelsabkommen TTIP zeigt eindrücklich, dass es erfolgversprechendere und demokratiepolitisch fruchtbarere Wege des zivilgesellschaftlichen Protests gibt als den Boykott von Tagungen.

18. Juni 2015

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