die furche - 164

Teilnahme am Leben der Anderen

 

Immer mehr Jugendliche ohne abgeschlossene Ausbildung finden keinen Job und kippen noch vor ihrem zwanzigsten Lebensjahr in die bedarfsorientierte Mindestsicherung. Sobald sie als nicht mehr vermittelbar gelten, zahlt man ihnen dann zwar den Lebensunterhalt – die Teilnahme am Leben der Anderen aber bleibt ihnen mit großer Wahrscheinlichkeit auf Dauer verschlossen. Es droht soziale Isolation in Randgruppen oder das Abdriften in Suchtverhalten und dessen Folge-Kriminalität.

Als Gegenmittel wird das Nachholen von Schul- und Lehrabschlüssen gefördert, zusätzliche Abhilfe soll die geplante Ausbildungspflicht bis zum achtzehnten Lebensjahr bringen. Zumindest nachgedacht wird auch über den Aufbau eines zweiten, von der öffentlichen Hand und den Gemeinden getragenen Arbeitsmarktes nach dem Vorbild Schwedens. Das Modell „Grundeinkommen mit Arbeit“ erweist sich dort als wirksames Instrument gegen eine sich allzu früh verfestigende Abhängigkeit von Sozialfürsorge.

Die entscheidenden Weichenstellungen aber finden davor in der schulischen Ausbildung statt. Da lohnt jeder zusätzliche Einsatz, um die Lebenskompetenzen junger Menschen unabhängig von ihren Herkunftsmilieus zu stärken, sie zu selbständigem Handeln zu ermuntern und ihre musischen Begabungen zu entdecken. Wenn das alles in Schulklassen gelingen soll, in denen die deutliche Mehrheit der Schüler/innen aus den unterschiedlichsten Sprachgebieten dieser Welt stammt, ist die pädagogische Herausforderung komplett.

Wie erfolgreich solche Anstrengungen sein können, durfte ich kürzlich an einem Abend in der Sir Karl Popper Schule erfahren – nein, nicht am viel bekannteren Gymnasium für Hochbegabte, sondern an der gleichnamigen Neuen Mittelschule im fünfzehnten Wiener Gemeindebezirk, dort, wo der 1902 in Wien geborene Philosoph vor seiner Emigration zwischen 1930 und 1935 als Hauptschullehrer in den Fächern Mathematik und Physik gewirkt hatte.

Etwa in seinem damaligen Lebensalter, um die Dreißig, sind auch jene jungen Menschen, die sich im Rahmen der privaten Bildungsinitiative „Teach for Austria“ dafür entschieden haben, nach abgeschlossenem Studium und mehrjähriger Berufserfahrung für zwei Jahre an österreichischen Integrationsschulen zu unterrichten. Ihr Anspruch ist es, im regulären Unterricht die Potenziale von Kindern mit schlechten Startbedingungen zu entwickeln und ihnen damit weiterführende Ausbildungswege zu ermöglichen. Gemeinsam mit den Stammlehrer/innen erzielen sie wunderbare Ergebnisse – nicht nur in den so genannten „Gegenständen“, sondern vor allem auch im Fach Menschlichkeit.

Gerade weil die vielen täglichen Erfolge engagierter pädagogischer Arbeit im allgemeinen Bildungsgejammer unterzugehen drohen, müssen wir uns bewusst machen, dass an den Investitionen in diese weichenstellende Lebensphase nicht gespart werden darf. Wenn wir es aber trotzdem tun, treffen uns später die Folgekosten mit erhöhten Ausgaben für Sozialhilfe und einem Zerfall des gesellschaftlichen Zusammenhalts.

07. Mai 2015

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