Jahrzehntelang war Steuer-Minimierung durch Auslagerung von Teilen der Wertschöpfung an Gesellschaften auf Steueroasen geübte Normalität in international agierenden Unternehmen. Die gängigsten Praktiken sind meist durch Doppelbesteuerungsabkommen legitimiert und gehören zum Handwerkszeug der Finanzverantwortlichen. Komplexere Modelle werden von darauf spezialisierten Anwälten und Steuerberatern maßgeschneidert.
Seit jedoch das entgleiste Finanzsystem zu nie gekannten Verteilungsproblemen führt und gerade jenen Staaten, die eben erst ihre Banken mit Steuergeldern gerettet haben, die Luft zum konjunkturellen Durchatmen nimmt, hat sich der Blick auf das Thema grundlegend geändert. Die USA belegen europäische Banken mit hohen Geldstrafen für Beihilfe zur Steuerhinterziehung und Unternehmen, die sich allzu schlau vor einem fairen Anteil an der Steuerpflicht drücken, werden von den Konsumenten durch Kaufboykott bestraft.
Nicht zuletzt unter dem Druck mittelständischer Wähler, die keine Lust mehr haben, einen überproportionalen Anteil an den Krisenkosten zu schultern, bündeln sich Reformkräfte, die auf eine vernünftige globale Steuergerechtigkeit drängen. In jüngster Zeit übernimmt nun die OECD eine Vorreiterrolle für faire Besteuerung grenzüberschreitender Geschäfte. Ihr Aktionsplan gegen „aggressive Steuergestaltung“ wurde beim Finanzministertreffen der G20 im australischen Cairns einstimmig angenommen.
Auch Standorte, die sich bisher hartnäckig gegen Reformen gewährt haben, sehen plötzlich Risiken für ihre Reputation, wenn sie Steuerminimierern weiter Unterschlupf gewähren. So scheint etwa Irland bereit, sein „Double Irish“ genanntes Steuersparmodell aufzugeben, mit dem Großkonzerne wie Google und Microsoft Gewinne über Briefkastenfirmen am Fiskus vorbei organisiert haben. Neben Irland kommen nun auch die Niederlande und Luxemburg unter Druck. Als Trostpflaster für Unternehmen wird über einen Steuerrabatt nachgedacht, der über die Einrichtung sogenannter „Patentboxen“ Begünstigungen für Einkünfte aus Lizenzen und Patenten gewährt.
Die Umsetzung der OECD-Agenda wird viele Jahre dauern. Weltweit gültige, gleiche Spielregeln für Alle sind ein Langfristziel. Aber immerhin werden doch erstmals global akkordierte Schritte gesetzt, um endlich Chancen- und Lastengleichheit für Normal-Steuerzahler herzustellen. Und wenn ein Paradigmenwechsel einmal zu greifen beginnt, kann der Wandel gerade in einer offenen Marktgesellschaft durchaus rasch von sich gehen.
Wie zum Beweis flatterte mir dieser Tage eine Mail auf den elektronischen Schreibtisch, in der eine Wirtschaftsprüfungsgesellschaft ihren Firmenkunden bereits ein erstes Seminar anbietet, mit dem Finanzchefs auf die neue, steuerehrliche Zukunft vorbereitet werden. Das Werbeprospekt empfiehlt ganz nüchtern, „bei der Gestaltung der Leistungsverrechnung an Auslandsgesellschaften künftig die Anforderungen der OECD zu berücksichtigen“. Das klingt nach einem ernsthaften Anfang vom Ende der Verlagerung von Gewinnen in Steueroasen.
09. Oktober 2014