die furche - 147

Ökonomie: Aufbruch zu neuen Ufern

 

Das Motto des sommerlichen Treffens der Nobelpreisträger in Lindau am Bodensee ließ einen Hauch von Selbstkritik der Ökonomenzunft erkennen: „Wie nützlich sind die Wirtschaftswissenschaften – wie sind die Wirtschaftswissenschaften nützlich?“. Bundeskanzlerin Angela Merkel griff den Ball auf und eröffnete ihre Gastrede vor 17 Nobelpreisträgern und mehr als 400 Nachwuchswissenschaftlern mit einer als Kompliment getarnten, spitzen Bemerkung: „Es ist gut, dass Sie diese Frage stellen!“

Das erhoffte Umdenken scheint allerdings ausgeblieben zu sein. Im deutschen „Handelsblatt“ formulierte dessen Herausgeber Gabor Steingart seine Enttäuschung so: „Gab es nach dem Weltfinanzbeben noch Stimmen der Selbstkritik, schwärmten die Redner diesmal wieder von mathematischen Modellen, die auf den umstrittenen Lehrmeinungen der Klassiker beruhen. Das Ganze grenzt an Wirklichkeitsverweigerung“.

Die Anhänger der beiden dominierenden Schulen des Monetarismus und Keynesianismus scheinen noch immer von dem Wunsch beseelt, mit geradezu mechanistischer Genauigkeit ökonomische Vorhersagen und Aussagen zu den Steuerungswirkungen der von ihnen vorgeschlagenen Maßnahmen zu treffen. Dieses geschlossene Modell-Denken, das neue Lösungsansätze zu blockieren droht, ist aber nicht irreversibel. Der Aufbruch zu neuen, für komplementäre Wissensgebiete aufnahmebereiten Forschungsansätzen kommt – wenn auch noch viel zu langsam – in Gang. Eine Vielzahl von Initiativen formiert sich, die alle das Ziel verfolgen, aus dem unfruchtbar gewordenen Mainstream auszubrechen und neue Denk- und Forschungsansätze zuzulassen.

So stellte im Mai dieses Jahres die Internationale Studenteninitiative für Pluralismus in der Ökonomie (ISIPE) einen Offenen Brief ins Netz, dem sich bereits Initiativen aus 30 Ländern angeschlossen haben: „Wir beobachten eine besorgniserregende Einseitigkeit der Lehre. Während in anderen Disziplinen Vielfalt selbstverständlich ist, wird die Volkswirtschaftslehre häufig dargestellt, als gäbe es nur eine theoretische Strömung mit eindeutigem Erkenntnisstand. Diese fehlende intellektuelle Vielfalt behindert uns im Umgang mit den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts – von Finanzmarktstabilität über Ernährungssicherheit bis hin zum Klimawandel“.

An der Universität Manchester erarbeiteten Studierende etwa zur selben Zeit unter der originellen Überschrift „Post-Crash-Economics“ ein ausformuliertes Programm mit modernisierten Lehrinhalten. Es soll sicherstellen, dass die Ökonomie nicht länger von den Denk- und Forschungsergebnissen der Geschichtswissenschaft, der Psychologie, der Politikwissenschaft oder Philosophie abgeschnitten bleibt.

Nun muss es nur noch gelingen, die unselige Publikations-Routine der internationalen Fachzeitschriften zu durchbrechen, mit der unkonventionelle Forschungsansätze häufig vom Meinungsfilter etablierter Mainstream-Ökonomen abgefangen werden. Dann wäre der Aufbruch zu neuen Ufern nicht mehr aufzuhalten.

28. August 2014

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