In diesen österlichen Tagen erinnerte ich mich an eine eigentümliche Festveranstaltung, die ich vor einigen Monaten in Holland miterlebte. Nach einem internationalen Finanzmarktkongress in Amsterdam waren alle Mitwirkenden zu einem festlichen Dinner geladen. Eine einstündige Busfahrt führte uns in die wunderschöne, in ihrem Kern spätmittelalterliche Kleinstadt Leiden. In deren Zentrum, zwischen gut erhaltenen historischen Bauten, erhebt sich ein prachtvoller spätgotischer Dom, die Pieterskerk. Dort hinein wurden wir geleitet, in der Annahme, vor dem Abendessen wäre eine Dombesichtigung geplant. Zu unserer Überraschung empfing uns jedoch eine vom wohl besten Catering-Unternehmen der Gegend ausgerichtete Feierkulisse, ein gewissermaßen kathedralisches Buffet. Entlang des Mittelschiffes erstreckte sich die Festtafel, zu den Füssen der prächtigen Säulen prangten Blumengestecke vom Feinsten.
Dieses großzügige Arrangement, durchaus dazu gedacht, die Gäste im besten Sinn des Wortes zu überwältigen, hatte nicht nur auf mich eine zunächst geradezu gegenteilige, ent-geisternde Wirkung. Wohl habe ich eine Reihe von Tagungen in ehemaligen Klöstern und Konzerte in Kirchenräumen, die schon seit den Zeiten Josephs des Zweiten säkularisiert sind, als durchaus stimmig erlebt. Diese lang gestreckte Tafel aber, umlagert von weit über 100 Gästen in abendlicher Robe, erinnerte mich, einem Menetekel gleich, an die Tischgesellschaft des Jedermann vor dem Salzburger Dom.
Nun lässt die demographische Entwicklung ebenso wie die stetig abnehmende Zahl an Kirchenbesuchern zweifellos erwarten, dass wir auch in unseren Gegenden auf eine Phase zugehen, in der immer mehr ehemalige Sakralräume neuen Nutzungen zugeführt werden oder eben verfallen müssen. Und vielleicht gelingen uns Nachnutzungen dieser Gotteshäuser, die angemessener sind als Einkaufszentren, Fitness-Studios oder Spielhallen.
Eines Tages aber würde sich bei Fortschreiten dieser Entwicklung eine Frage stellen, die ausgerechnet Ernst Bloch, deutsch-jüdischer Philosoph, Marxist und im herkömmlichen Sinn Nicht-Gläubiger einmal kritisch an den Atheismus gerichtet hat: wie gehen wir mit dem Hohlraum um, mit der Leere, die nach vollständiger Entfernung der Religion zurückbliebe. Werden wir es schaffen, auch ohne die Anwesenheit des Transzendentalen zwischen Gut und Böse zu unterscheiden und eine allgemein verbindliche Werteordnung zu begründen – oder führt eine metaphysik-freie Ethik ohne höheren Bezug in die Irre?
Der 1977 in Tübingen verstorbene Autor eines dreibändigen Werkes über das „Prinzip Hoffnung“ hatte gerade auch zu Kirchenbauten eine für seine Denkschule unorthodoxe Meinung: es gehe bei sakraler Architektur „um den Glanz dahinter“, um die Ausstrahlung der Anwesenheit des Transzendentalen. Es lag wohl an dieser Ausstrahlung des über 700 Jahre alten profanisierten Domes, dass an dem Abend in der Pieterskerk von Leiden mehr Nachdenklichkeit als Ausgelassenheit herrschte.
24. April 2014