Man sagt Konvertiten nach, sie seien besonders unerbittlich im Bestehen auf ihren eben erst neu errungenen Glaubenswahrheiten. Um nur ja keine Selbstzweifel aufkommen zu lassen und die Unwiderruflichkeit ihrer Glaubenswende zu betonen, gehen sie mit ihren ehemaligen Verbündeten, die nun zu Gegnern geworden sind, hart ins Gericht.
Seit einiger Zeit lässt sich dieses Verhaltensmuster bei einstmals glühenden Befürwortern der europäischen Einigung beobachten, die nun zu deren kämpferischen Gegnern geworden sind. Hans-Olaf Henkel, der frühere Präsident des deutschen Industrieverbandes, ist so ein Fall. Nachdem er in den Neunzigerjahren mitgeholfen hatte, die Gemeinschaftswährung herbei zu beschwören, verfasst er nun Streitschriften mit reißerischen Titeln a´la „Rettet unser Geld – wie der Euro-Betrug unseren Wohlstand gefährdet“. Nun ist er der „Alternative für Deutschland“ beigetreten und hofft auf ein Mandat im Europäischen Parlament.
In Österreich liefert der streitbare Wirtschaftspublizist Christian Ortner eine Parallelvorstellung. Sein Bekehrungserlebnis liege etwa fünf Jahre zurück. Damals, so sagt er, sei er vom Vorkämpfer zum kämpferischen Gegner des Euro geworden. Mittlerweile lässt er sich dazu hinreißen, Europa als Bankomat für Defraudanten zu bezeichnen und das europäische Friedensprojekt als glatte Lüge. Andere, wie etwa der Schriftsteller Robert Menasse, gehen den umgekehrten Weg und werden von Europa-Skeptikern zu Anhängern der Flucht-nach-vorne-Strategie in einen europäischen Bundesstaat.
So entsteht der falsche Eindruck, Europas Strukturprobleme ließen sich nur durch eine digitale Entscheidung zwischen Ganz oder Garnicht lösen. In Wirklichkeit aber bringen uns die Spiegelfechtereien zwischen Schlechtrednern und Schönrednern nicht weiter. Die vernünftigeren Lösungen sind nicht bei den Strenggläubigen beider Lager zu finden, sondern in einer pragmatischen Mitte.
Der Lernprozess der mittlerweile 18 Euro-Mitgliedsstaaten seit Ausbruch der Finanzkrise und der in ihrem Windschatten akut gewordenen Staatsschuldenkrise war mühsam aber durchaus erfolgreich. Das Zusammenspiel zwischen der Europäischen Notenbank und dem neu geschaffenen Stabilisierungsmechanismus (ESM) stellt sicher, dass sich Spekulationen auf den Staatsbankrott von Euro-Staaten nicht mehr auszahlen. Zugleich greifen die disziplinierenden Spielregeln, sodass Irland und Spanien ohne Zuschüsse anderer Euro-Staaten aus den Schutzschirm-Programmen wieder in die Finanzmarkt-Wildbahn entlassen werden konnten. Zuletzt fiel sogar die Verzinsung fünf-jähriger spanischer Staatsanleihen mit 3,75 Prozent so niedrig aus wie vor vier Jahren.
Es gibt keinen Grund zur Euphorie, aber gerade jetzt, in einem Umfeld der Instabilität in den von Kapitalflucht bedrohten Wachstumsmärkten, zahlt es sich aus, Nerven zu bewahren und an einem Europa weiter zu bauen, das Zentralstaatlichkeit und Föderalismus auf eigenständige Weise kombiniert. Ich hoffe, dass die europäischen Wähler den Pragmatikern mehr vertrauen werden als den Konvertiten.
13. Februar 2014