Nein, ich bin kein Bildungsexperte. Darf ich trotzdem etwas sagen? Ja ich weiß, unsere Akademikerquote liegt im internationalen Vergleich noch nicht hoch genug. Und natürlich ist ein Mehr an Bildung Voraussetzung für beruflichen Erfolg. Aber ich werde das Gefühl nicht los, dass wir am Kern des Problems vorbeiargumentieren, wenn es um die sogenannte höhere Bildung geht. Immer einseitiger messen wir den Wert von jungen Mitmenschen am Nachweis von Abschlusszertifikaten jeglicher Art. Der deutsche Kulturphilosoph Julian Nida-Rümelin warnt wohl zu Recht vor einem „Akademisierungswahn“, der individuelle Verbesserung von Berufschancen verspricht, während zugleich eine Überqualifizierung in beruflichen Feldern entsteht, die auch mit kürzeren Ausbildungsgängen zu bestellen wären.
Wollen wir wirklich den Superlativen der Personalberater glauben, die uns vorgaukeln, jede(r) hätte das Zeug zum „High potential“ und nur als solche(r) sei sie/er wirklich wertvoll? Zählen wirklich nur die Besten jedes Faches, oder geht es im Casting der Berufsanwärter auch und vor allem um Beziehungsfähigkeit, Beständigkeit, Humor, Empathie, Leistungsfreude oder gar Menschenbildung, „skills“ also, die sich internationalen Testvergleichen entziehen. Gelten die Ideale der absoluten Flexibilität, Mobilität, allzeitigen Verfügbarkeit und letztlich Bindungslosigkeit mehr als jene Grundvoraussetzungen gelingenden Lebens, die zu vermitteln zwischen zerfahrenen Familien und überforderten Lehrenden keine Zeit mehr bleibt?
Die illusionäre Vorspiegelung unbegrenzter Chancen auf besserbezahlte und selbstverwirklichungsfördernde Akademikerkarrieren wertet nicht nur handwerkliche Berufe sondern auch jene unzähligen Beschäftigungen ab, mit denen schlicht und einfach vernünftiger Lebensunterhalt verdient wird, ohne dass darin gleich die große Erfüllung zu finden wäre. Immer mehr Studienabgänger mit schmalen Prekariats-Gehältern haben am Ende weder „etwas Ordentliches“ gelernt, noch genügend Lebensraum für die Idee, eine Familie zu gründen. Die sinkenden Durchschnittseinkommen der Jungen sind so gesehen auch ein bildungspolitisches Alarmzeichen.
Es sollte uns doch gelingen, die Akademisierung von ihrer Kopflastigkeit zu befreien und zugleich die MINT-Fächer (Mathematik/Informatik/Naturwissenschaft/Technik) zu stärken. Auch die gesamte mittlere und höhere berufsorientierte Ausbildung ließe sich weiterentwickeln: mit mehr Dualität von Lernen und Praktizieren in allen Stufen, einer Aufwertung der Berufsschulen und vor allem der längst überfälligen Integration von grundlegendem, angewandtem Wirtschaftswissen in die Allgemeinbildung.
Wir bilden immer mehr Schiedsrichter aus, die wissen, wie es gehen sollte und kontrollieren, ob andere es können. Um als Gesellschaft erfolgreich zu sein, brauchen wir aber auch die Spieler, deren Zusammenwirken zu gemeinsamen Erfolgserlebnissen führt. „Master statt Meister“ als Leitlinie reicht jedenfalls nicht.
28. November 2013