die furche - 121

Der Notarzt hatte recht

 

So unruhig dieser Sommer in den politischen Spannungsgebieten gewesen sein mag – auf den Finanzmärkten bescherte er uns eine fast schon untypische Ruhe. Dabei hatten wir uns in den vergangenen Jahren schon beinahe daran gewöhnt, mitten im Urlaub durch Turbulenzen aufgeschreckt zu werden. So machte die Pleite der deutschen Industriekreditbank im August 2007 deutlich, wie massiv sich das Platzen der amerikanischen Immobilien-Blase auch auf Europa auswirkte. 2008 dann mündete die Insolvenz von Lehman Brothers am 15. September in eine fundamentale Krise des Weltfinanzsystems.

In den nachfolgenden Sommern beschäftigten uns die Schrecknisse der europäischen Staatsschuldenkrise. Weit auseinanderklaffende Anleihezinsen für Länder mit unterschiedlicher Kreditwürdigkeit drohten die Euro-Zone zu zerreißen. Ganz Europa war zu einer Erdbebenzone geworden, deren Verwerfungen wir mit einer neuen Terminologie zu beschreiben begannen: plötzlich wurden immer größere Landmassen zur „Peripherie“ erklärt – so als wollten wir uns auf eine Trennung vorbereiten.

Mittlerweile hat sich eine realistischere Sichtweise durchgesetzt. Denn Euroland ist längst so eng miteinander verflochten, dass es keinen schmerzfreien Trennungsprozess mehr gibt. Im Fall seines ungeordneten Auseinanderbrechens würde ein fragmentiertes Europa wohl für lange Jahre aus dem Rennen geworfen und damit selbst zur Peripherie des globalen Geschehens. Vor allem deshalb griff die Europäische Zentralbank zu umstrittenen Maßnahmen, die in ihrem ursprünglichen Drehbuch nicht vorkamen.

Nach einer Phase wachsender Unsicherheit und massiver Flucht in Sachwerte stellte EZB-Präsident Mario Draghi Anfang August vergangenen Jahres in Aussicht, dass die Notenbank alles Notwendige zum Erhalt des Euro tun werde. „Und glauben Sie mir, es wird ausreichen“, fügte er noch hinzu. Bald darauf folgte die Bekanntgabe unlimitierter Anleihekäufe von Eurostaaten – unter der Bedingung, dass sich der betreffende Staat den strengen Konsolidierungs-Programmen des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) unterzieht.

Das paradoxe Versprechen hat gewirkt: weil bewusst kein Ankaufslimit genannt wurde, versuchten die Währungsspekulanten erst gar nicht, gegen die EZB zu setzen. Das Vertrauen der Anleger kehrte so nachdrücklich zurück, dass bis heute keine Anleihen aus dem umstrittenen Programm angekauft werden mussten. Die Kosten der Staatsverschuldung von Problemstaaten sanken wieder und überstanden im Fall Italiens sogar den Berlusconi-Schock.

Was die EZB getan hat, mag nicht dem Schulbuch entsprochen haben. Die Wirkung der Rezeptur aber gibt dem Notarzt Recht. Dass die währungspolitische Ruhe während des heurigen Sommers gesichert war, bedeutet allerdings noch keine langfristige Entwarnung. Nun geht es darum, sich nicht auf die Notfall-Medizin zu verlassen, sondern unter dem Schutz der vorübergehenden Immunisierung durch „Draghinomics“ an der dauerhaften fiskalischen Gesundung zu arbeiten.

22. August 2013

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