Mitten im Hochsommer begegnete uns in den Tageszeitungen kürzlich dieses noch nie gesehene Bild: am oberen Rand in strenger Geometrie die Saturnringe, unten rechts zwei weit entfernte, lichte Punkte in unterschiedlicher Größe: die Erde und ihr Mond. Die amerikanische Weltraumbehörde versah das aus 1,4 Milliarden Kilometer Entfernung gefertigte Panoramabild mit einem sperrigen Pressetext von ganz eigener Poesie: „Die Aufnahme erinnert uns daran, wie klein unser Heimatplanet in der Unendlichkeit des Alls ist und ist gleichzeitig ein Zeugnis für den Erfindungsreichtum seiner Bewohner, welche in der Lage sind, eine Raumsonde in die Weiten des Weltalls zu schicken, den Saturn zu untersuchen und von dort aus ein Bild von der Erde anzufertigen.“
Weniger als vier Jahrhunderte trennen uns von der Zeit, als Galileo Galilei von der Inquisition verfolgt wurde, weil er das ptolemäische Weltbild verwarf. Zum Beleg seiner skandalösen und beängstigenden These, dass sich nicht alles um uns dreht, sondern vielmehr unser Planet um die Sonne, verfügte er noch über keine Beweismittel in Form von Satellitenfotos. Erst 1992 wurde der kühne Forscher vom Vatikan offiziell rehabilitiert.
Immer wieder zwingt uns neues Wissen zum Wechsel der Perspektive, weil es etablierte Sichtweisen in Frage stellt, an vertrauten Interpretationen der Realität rüttelt und die Bewahrer des alten Wissens entmachtet. Solch „Gefährliches Wissen“ war das Generalthema der diesjährigen Salzburger Hochschulwochen. Wir umkreisten es in einer von mir moderierten Abschlussdiskussion im Café – es heißt tatsächlich so – „Universum“ aus Sicht der Kunst und der Religion.
Dichter Max Bläulich warf gleich zu Beginn ein, er fürchte sich mehr vor gefährlichem Un-Wissen, im besonderem vor jenem, das von der Religion eingefordert wird. Das einzig wirklich gefährliche Wissen sei jenes um den Tod. Theologe Hans-Joachim Sander verteidigte den Willen zum Wissen, das hinter jeder religiösen Bemühung steht. Bald ließen wir den sich anbahnenden Begriffs-Krieg über Wissen und Glauben wieder sein und folgten Ulrich Khuon, dem Intendanten des Deutschen Theaters Berlin bei seinen klugen Sätzen über das Schauspiel als gemeinschaftlichem, oft schmerzhaften Weg der Wahrheitssuche.
Nach hitzigem Gedankenaustausch bei saunesken Temperaturen einigten wir uns darauf, dass die Akkumulation von immer mehr Wissen allein die Verhältnisse noch nicht zum Besseren wendet. Wenn es um Erkenntnisgewinn statt bloßer Informationsanhäufung geht, ebnet uns die Auseinandersetzung mit Religion und Kunst den Pfad zur Wahrheit.
„Erst wer um seine Unwissenheit weiß, kann Belehrung empfangen und Erkenntnisfortschritte erzielen“: diese vom Humanisten Nikolaus von Kues im Spätmittelalter formulierte Weisheit tröstete mich schließlich darüber hinweg, dass unser Streitgespräch auf jenem kleinen hellen Punkt im Raum, der vom Saturn aus als Erde erkennbar ist, mit mehr statt weniger offenen Fragen endete.
08. August 2013