die furche - 112

Die Diskussion ist eröffnet

 

Wohl noch nie seit seiner Gründung wurden die Zukunftsaussichten des Europäischen Projekts so kritisch gesehen. Die von den Zypern-Ereignissen verunsicherten europäischen Bürger stellen nämlich in diesen Tagen nicht nur die Frage nach der Zukunftsfähigkeit des Euro. Sie beginnen auch an der Qualität des supranationalen Krisenmanagements zu zweifeln. Denn dass ein überschaubarer Brandherd in einem Mitgliedsland mit gerade einmal 0,2 Prozent der europäischen Wirtschaftsleistung zum potentiellen Auslöser eines finanzmarktpolitischen Flächenbrandes werden konnte, zeugt doch von dramatischen konzeptionellen und handwerklichen Defiziten.

Das dichte Staccato an Ereignissen im Gefolge der von der Finanzkrise ausgelösten Staatsschuldenkrise setzt uns unter Druck. In der Phase der stürmischen Erweiterung der Union haben wir noch verdrängt, dass eine gleichzeitige Vertiefung nicht funktionieren kann. Seit wir aber zur Kenntnis zu nehmen haben, dass die Gemeinschaftswährung nur durch glaubwürdige Schritte in Richtung einer Fiskalunion abgesichert werden kann, stehen wir vor harten Fragen, deren Beantwortung sich nicht ewig aufschieben lässt:

Nehmen wir die hohe Arbeitslosigkeit in großen Teilen von Euro-Land einfach zur Kenntnis oder gibt es solidarische Strategien? Wie steht es um die überfällige Sanierung des immer noch kranken Großbankensystems? Wagen wir den Sprung zu Eurobonds, mit denen nicht nur ein europaweit einheitliches Zinsniveau der Staatsverschuldung hergestellt sondern auch jeder Zweifel am Zusammenhalt von Euro-Land ausgeräumt wird?

Robert Menasse, der soeben für seinen EU-phorischen Essay „Der Europäische Landbote“ mit dem Heinrich-Mann-Preis ausgezeichnet wurde, wählt den offensiven Weg und plädiert für die Abschaffung des Nationalstaates zugunsten des gemeinsamen Europa. Als „Aufklärer vom alten Schlag“ wurde er von seinem Laudator dafür bezeichnet – und als ein Autor, der den Vorwurf widerlegt, Intellektuelle hätten zu Europa nichts zu sagen.

Intellektuelle, die diesen Vorwurf schon früher widerlegt haben, kommen nicht immer zum gleichen Ergebnis. Jürgen Habermas sprach vor zwei Jahren von einem „höherstufigen politischen Gemeinwesen“, das es anzustreben gelte und lag damit noch nahe bei Menasse. Der nicht weniger aufklärerische Hans Magnus Enzensberger hingegen beschrieb Brüssel als „sanftes Monster“, das seine Bürger entmündige. Konrad Paul Liessmann fügte die ernüchternde Einsicht hinzu, der Nationalstaat habe wohl seine gestalterische Kraft verloren, die Folgekosten der Globalisierung würden ihm aber nach wie vor angelastet.

Peter Sloterdijk schließlich plädiert für eine großeuropäische Staatenunion föderaler Mitglieder, die ohne weitreichende Hoheitsgewalt bleiben und keine künstlichen Weltmacht-Träume verfolgt. Auch ein solches – nicht zentralistisches – Europa böte die Chance der Emigration aus den engen nationalen Identitäten.

Die Diskussion ist eröffnet. Wir alle werden sie zu führen haben, ob wir wollen oder nicht.

04. April 2013

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