die furche - 106

Ersparen wir uns die Sinn-Falle

 

War es wirklich so ernst? Cornelia Primosch hielt hörbar den Atem an, bevor sie ihrem Gesprächspartner im ersten OE1-Europa-Journal des neuen Jahres diese Frage stellte. Thomas Wieser, österreichischer Chef-Koordinator der Finanzminister der Euro-Gruppe, hatte gerade geschildert, wie sehr die Gemeinschaftswährung noch bis vor einem halben Jahr gefährdet, ja vor der Existenzfrage gestanden war. Erst die Entscheidung für Käufe von Staatsanleihen durch die Europäische Zentralbank habe die Wende gebracht – natürlich verbunden mit strengen Auflagen durch den Europäischen Stabilitätsmechanismus ESM.

Ja, es war so ernst. Das gefährliche „Zerbröseln“ der Eurozone wäre bald irreversibel und Anleihen von höher verschuldeten Staaten unverkäuflich geworden. Die Kapitalflucht hätte die Krise verschärft und letztlich in den unkontrollierbaren ökonomischen Zerfall geführt. Nun sei eine zumindest vorübergehende systemische Stabilisierung erreicht und Zeit gewonnen für die Umsetzung der noch offenen Reformschritte.

Warum das alles nicht früher, gleich in einem Durchgang, erledigt worden sei? Die pragmatische Antwort des international hoch geschätzten Finanzpolitikers: es wäre schlicht und einfach politisch nicht verkraftbar gewesen. Denn auch wenn sich Europa nur in Trippelschritten zu bewegen scheint, wurden doch in den drei Jahren seit Aufbrechen der griechischen und anderer Finanztragödien Schritte von einer Tragweite gesetzt, die am Beginn der Wegstrecke noch niemand mitgegangen wäre – von der Einrichtung der Schutzschirme über die Fiskalunion bis zur Annäherung an eine Bankenunion. Nur so sei es heute möglich, nicht mehr von einer Krise der Eurozone sprechen zu müssen, sondern nur mehr von einer Krise in der Eurozone. Es lebe der kleine Unterschied!

So paradox es klingt: ob das durch die Folgewirkungen der Finanzkrise einsturzgefährdete Euro-Projekt wieder dauerhaft auf gesunde Beine gestellt werden kann, hängt vor allem davon ab, ob eine politisch tragfähige Mehrheit sein Gelingen für wünschenswert und möglich hält. Wenn die Grundüberzeugung „sitzt“, finden sich auch gangbare Lösungswege. Gibt man aber frühzeitig auf, kommt es unweigerlich zum Scheitern.

Wie gefährdet wird der politische Wille zur weiteren Integration in diesem deutschen und österreichischen Wahljahr sein? Auch wenn die Stimmen der Skeptiker in jüngster Zeit leiser wurden, hat doch Hans Werner Sinn mit seiner alarmistischen „Target-Falle“ einen Bestseller gelandet, der an Sarrazin´sche Auflagen heranreicht. Er warnt vor dem Schlagendwerden von Zahlungssystem-Risiken bei Zerfall der Euro-Zone und liefert damit emotionales Kraftfutter für Euro-Gegner. Seriöse Gegenstrategien und eine vergleichbar engagierte Auflistung der Kosten des Zerfalls bleibt er hingegen schuldig.

Wir sollten uns am besten ersparen, in die Sinn-Falle zu tappen und stattdessen mehr auf besonnene Experten wie Thomas Wieser hören. Seine unspektakuläre Nachricht: es lohnt sich, aber wir brauchen auch Geduld.

10. Jänner 2013

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