„Wenn in einem Land Öl gefunden wird, dann wird im Umgang mit seinen politischen Herrschern das Wort Menschenrechte durch Stabilität ausgetauscht.“ Diese nüchterne Erkenntnis „unseres“ tschechischen Außenministers Karl Schwarzenberg beschreibt trefflich die Wirklichkeiten der Realpolitik gegenüber autokratisch geführten Ländern mit hohen Rohstoffvorkommen.
In abgewandelter Weise lässt sich dieser Satz auch auf jene rasch wachsenden asiatischen Staaten anwenden, aus denen wir unsere so erstaunlich billigen Mobiltelefone und beinahe alles an Bekleidung beziehen: auch dort schieben wir die Frage nach den Menschenrechten rasch beiseite, wenn nur die kostengünstige Auftragsfertigung ungestört weitergeht.
Dabei kann niemand behaupten, der taiwanesische Elektronikkonzern Foxconn hätte nicht dazu gelernt. Nach einer Welle von Selbstmorden ausgepowerter Mitarbeiter verbesserte der Konzern die Arbeitsbedingungen, hob die Löhne bis zum Doppelten an und sorgte für dezentralisierte Betriebsstätten mit aufgewerteten Unterkünften. Auch kritische Konsumenten trugen dazu bei, dass der Normallohn heute bei etwa 280 Dollar pro Monat liegt – deutlich über dem Landesniveau und nicht viel weniger, als ein Industriebarbeiter im EU-Mitgliedsland Rumänien verdient. Mit Überstunden lässt sich noch etwas dazuverdienen. Nach ein paar Jahren soll soviel angespart sein, dass sich im Heimatdorf eine eigene Existenz aufbauen lässt.
Dennoch ist der Arbeitsdruck unter Bedingungen frühindustrieller Massenmenschenhaltung so groß, dass – wie Anfang September dieses Jahres geschehen – eine Auseinandersetzung zwischen Mitarbeitern und Vorgesetzten genügt, um eine Massenschlägerei mit vielen Verletzten auszulösen. Das System stellte sicher, dass wir nicht allzu viel darüber erfahren mussten. Allein im Werk Shenzhen an der Südküste Chinas, dort, wo die Unruhen ausbrachen, beschäftigt Foxconn 390.000 Menschen. In der Summe aller chinesischen Betriebsstätten sind es beim wohl größten Arbeitgeber der Welt über 1,2 Millionen.
Möglicherweise sind die Handelsgrenzen zu Staaten ohne demokratische, soziale und ökologische Mindeststandards zu rasch gefallen. Denn Globalisierung ohne faire Vergleichbarkeit der Produktionsbedingungen erschließt zwar auch uns neue Märkte – sie verfestigt aber zugleich eine einseitige Arbeitsteilung. Das Modell „Markt ohne Demokratie“ in „stabilen“ Diktaturen wird so zur bedrohlichen Konkurrenz unserer Sozialen Marktwirtschaften.
Noch ist bei uns wie in Deutschland die hohe Industriequote von fast einem Viertel der gesamten Wertschöpfung Grund für einen hohen Beschäftigungsgrad. Jene Staaten, die vor der Finanzkrise einseitig auf die sogenannte „Finanzindustrie“ gesetzt und damit verloren haben, entdecken deshalb gerade die Bedeutung der realen Wertschöpfung für ihre Volkswirtschaften neu. Die globalen Spielregeln aber können nur über die europäische Ebene nachgebessert werden. Am Nationalfeiertag wäre Gelegenheit, über unseren Beitrag dazu nachzudenken.
25. Oktober 2012