Zyniker wüssten „von allem den Preis und von nichts den Wert“ stellte Oskar Wilde einst fest. Er muss sich da ausgekannt haben. Wie zum Beweis, dass es auch anders geht, versammelten sich bei der diesjährigen GLOBArt-Academy in Krems Menschen, die sich mit Zynismus als Formel der Welterklärung nicht begnügen wollen.
Als ich zu Jahresbeginn einen ersten Blick auf das Tagungsprogramm warf, stieß ich auf die folgenden programmatischen Sätze zum Generalthema „Experiment“ aus der Feder der beiden Intendantinnen Heidemarie Dobner und Pippa Belcredi: „Wir leben in einer Zeit der Umbrüche. Tradition und gesellschaftliche Systeme werden künftig nicht mehr den Menschen die Sicherheit geben, die bisher ihr Leben bestimmt hat. Das Leben wird zum Experiment.“ – und nach einem Gedankenstrich fügten sie den Nachsatz hinzu: „Das ist eine gute Nachricht“. Im Sinne des Visionärs, Philosophen und Komponisten John Cage, den man anlässlich seines hundertsten Geburtstages zum kulturellen Leitmotiv-Geber erkoren hatte, wolle man immer wieder alle Fragen neu stellen, die Dinge von Null andenken.
Meine erste Reaktion war skeptisch. Ist es denn wirklich eine gute Nachricht, dass das Leben zum Experiment wird? Das schien mir zu naiv-optimistisch, setzt doch meine wert-konservative Gehirnhälfte lieber auf Vertrautes und Bewährtes als permanentes Ausprobieren. Außerdem habe ich – wie viele Ältere unter uns – bereits die Erfahrung gemacht, dass das Leben eben nicht die Generalprobe ist. Wir befinden uns mitten in der Aufführung, jeden Tag, in all unseren Rollen. Aber im Unterschied zur Bühne sind Wiederholungen der gleichen Szenen nicht zugelassen. Warum also die Not der Werte-Verunsicherung zur Tugend des Experiments erklären?
Meine andere Gehirnhälfte jedoch, die mit der ständigen Lust am Infragestellen der Strukturen unseres Handelns, konnte der Idee vom Leben als Experiment einiges abgewinnen. Denn ohne den Mut zum Umbau überholter institutioneller Kulissen, Machtapparate und Spielregel-Werke, geschieht keine Innovation, kommt es zu den altbekannten, oft bequemen Erstarrungen. Ganz im Sinn von John Cage, der einmal meinte, er könne nicht verstehen, warum die Menschen vor neuen Ideen Angst haben – er hätte Angst vor den alten.
Am Ende hat sich das konzeptionelle Wagnis gelohnt. Der diesjährige GlobArt-Preisträger John Hunter, zum You-Tube-Star gewordener amerikanischer Volksschullehrer und Erfinder des „World Peace Game“, überzeugte mit einer klugen Rede von mitreißender Bescheidenheit. Er stimmte damit jene Tonart an, in die alle Vortragenden einstimmen konnten – von Tomas Sedlacek, Friedrich von Borries, Sarah Spiekermann und Daniell Porsche bis Markus Hinterhäuser.
Ich wünschte mir mehr solcher Tagungen, deren Vortragende nicht zur ewig gleichen Gilde überbuchter Wanderprediger aus der Spezies der „Angstexperten“ (© Martin Walser) gehören. Mit Expert/innen für konkrete Veränderungen zum Besseren ist es viel spannender.
11. Oktober 2012