Wertschöpfung durch Bildung

Wissen - Wertschöpfung - Wirtschaftsordnung -
Skizzen zu einer wertortientierten Ordnungspolitik

 

Plenarreferat bei der GLOBART-Academy 2006, publiziert in CONTUREN 1/07

Der Stand unserer Kultur bestimmt sich aus der Art und Weise, wie wir das Spannungsfeld zwischen Wissen, Wissens-Werten und Wertschöpfung gestalten. Auch jede Wirtschaftsordnung ist Teil dieser Kultur und Ausfluss einer bestimmten Werteordnung. Eine ordnungspolitische Neuorientierung in der Globalisierung kann deshalb nur unter Einbeziehung unserer Wissens-Werte und Wert-Bestände gelingen. Unverzichtbarer Teil davon ist die systematische Bekämpfung von Bildungs-Armut.

I. Das neue Wissen: Overnewsed but underinformed ?

„Wenn ich immer wüsste, was ich suche, hätte ich noch selten etwas gefunden“ sagt Josef Hader alias Kommissar Brenner in der Verfilmung des Klerikal-Krimis „Silentium“ von Wolf Haas. Treffender kann man den kreativen Prozess kaum beschreiben. Das Paradoxon der Innovation besteht nun einmal darin, dass sie zwar zunächst auf bestehendem Wissen gründet, dann aber die Wissenselemente neu kombiniert. Dennoch erfolgt die Suche nicht ziellos. Meist gibt es ein Bild davon, wie das Suchergebnis ausschauen könnte. Bei schöpferischen Geistern kann die Bildmächtigkeit so groß sein, dass sie als Künstler mit dem erworbenen Wissen um die Sprache, den bildnerischen Ausdruck und das Niederschreiben von Klanggebäuden ganze Erzählungen, Bildgeschichten und musikalische Landschaften in die Welt bringen.

Als Wissenschaftler vermögen sie schöpferische Gedankengebäude zu entwerfen, die als quasi-kompositorische, assoziative Großleistungen zu neuen Begrifflichkeiten führen, abstrakte Zusammenhänge neu beschreib- und besprechbar machen. Das Bild, das Sigmund Freud von der menschlichen Dreifaltigkeit des Ich, Es und Über-Ich entwarf, ist ein solches imaginatives Paradigma. Viele Jahrzehnte nach seiner „Erfindung“ wird es heute zugänglich für Belege durch die neurophysiologische Forschung. Auch naturwissenschaftliche und wirtschaftliche Innovationen folgen ähnlichen Entwürfen von informierten Bildern einer Zukunft, die dann auf den konkreten Pfaden der Produkt- und Prozessinnovation umgesetzt werden.

Zur Vermessung und Beschreitung dieser Pfade stehen uns heute nie gekannte Daten- und Informationsmengen zur Verfügung. In digitalisierter Form stellen die wichtigsten Bibliotheken der Welt ihre Wissensbestände bereit. In progressiv zunehmenden Verarbeitungsgeschwindigkeiten lassen sich mit Unterstützung immer leistungsmächtigerer Rechner bisher für unüberwindlich gehaltene wissenschaftliche Grenzen übersteigen. Nie zuvor wurde schöpferische Neugier mit einer solchen Fülle von Auskünften belohnt, waren Suchprozesse so produktiv, globale wissenschaftliche Kooperationen so aussichtsreich.

Die von Marshall McLuhan, dem Medienvisionär der Hippie-Ära entworfene Realutopie der Welt als einem globalen Mediendorf ist längst ein wirkungsmächtiger Teil unserer Alltagswirklichkeit geworden. In seinem Globalisierungs-Essay über den „Weltinnenraum des Kapitals“ merkt Peter Sloterdijk dazu ironisch an, dass wir uns dank der heutigen Errungenschaften der Telekommunikation nun auch aus der Ferne so unglücklich machen können, wie dies früher direkten Nachbarn vorbehalten war.

Zu der mit den weltweiten Kommunikationsplattformen einhergehenden Unifizierung der Botschaften entwickeln sich jedoch Gegenströmungen. Zahl und kulturelle Vielsprachigkeit der Medien nehmen zu, damit aber auch Diversität und Konfliktpotentiale. Es gibt nun einmal keinen von allen Teilnehmern außer Streit gestellten Entwurf vom Gelingen der Welt als Ganzer. (Rüdiger Safranski)

Das Internet hat sich schneller als jedes andere Massenmedium durchgesetzt und ist zum Katalysator einer Globalisierung nicht nur der Information sondern auch neuer arbeitsteiliger Wertschöpfungsketten geworden. Es hat in einzigartiger Durchsetzungsgeschwindigkeit eine einheitliche, global zugängliche Benutzeroberfläche für ein Kommunikations- und Informationsmedium geschaffen, das die schönsten Träume der Aufklärung übertrifft: Enzyklopädien, an deren Perfektionierung rund um die Uhr kollektiv gearbeitet wird, Zugänglichkeit des Wissens-Thesaurus für alle, auch in den entferntesten Gegenden. Daraus erwächst das Potential der Emanzipation nicht-urbanisierter Lebensräume, dezentrale Artikulationsmöglichkeiten, privat-publizistische Plattformen – eine Welt-Gemeinschaft in Klick-Distanz.

Es mag zu den typischen Frühphasen-Verhaltensmustern gegenüber neuen Medien gehören, dass wir ein gewisses Nähe-Distanz-Problem hinsichtlich ihrer Nutzung haben, und uns mangels Praxis einfach noch nicht sicher sind, wo das Zuviel beginnt. Das Problem des „Overnewsed but underinformed“ scheint sich mit der Verfügbarkeit des Mediums Internet potenziert zu haben. Wir stehen angesichts der Fülle an uns zugänglichen und/oder auf uns einwirkenden Informationen vor einer neuen Version des altbekannten Problems der Selektivität zu stehen. Der von Erich Fromm herausgearbeitete Wahl zwischen einem Leben im Modus des Habens im Sinne der Anhäufung materieller Güter und dem des Seins im Sinne eines erfüllten Lebens, erhält mit Blick auf Medienkonsum und Internetgebrauch eine zusätzliche Dimension.

Manfred Spitzer, Lernwissenschafter und Gehirnforscher, zeigt erst kürzlich eindringlich das Gefahrenpotential von zuviel und/oder falsch eingesetzten Bildschirmmedien auf. Neben den unmittelbaren Folgen für die körperliche Gesundheit beschreibt er vor allem die neurophysiologischen Gefahrenpotentiale einer allzu stark von Bild-Wahrnehmungen geprägten Weltsicht für die Strukturierung des kindlichen Gehirns. Weil Bildschirm-Medien Werte in den Köpfen produzieren, warnt er vor Gewalt verherrlichenden Video-Spielen und ihre Folgen für die Sozialkompetenz von Jugendlichen. Schließlich entwirft Spitzer ein medienökologisches Konzept zur Eindämmung der „externen Kosten“ von Bildschirmmedien.

Lässt sich die von Rüdiger Safranski („Wieviel Globalisierung verträgt der Mensch?“) beschriebene Überlagerung des wirklichen Lebens durch das Vorgespielte vermeiden? Ist zu verhindern, dass ein mit wachsenden Anteilen in der Welt des (Bildschirm-)Scheins verbrachtes Leben zu einer in die Bereiche der Ökonomie und Politik reichenden Inszenierung wird, die Spielertypen begünstigt? Wo sich das Realitätsprinzip immer mehr in Beliebigkeit verliert, - so Safranski – „lösen sich traditionelle Verbindlichkeiten auf, werden Geschmackssache, und der schlechte Geschmack bekommt ein gutes Gewissen“.

All dies spricht dafür, die medienökologische Debatte – angereichert um die Erkenntnisse der emanzipatorischen Medienpädagogik – neu zu führen.

II. Wissens-Werte: Quellen der Ver-Gewisserung

Hermann Hesses Erkenntnis, dass man Wissen mitteilen kann, Weisheit aber nicht, führt uns von den bis zur Erschöpfung unerschöpflichen Quellen und Speichern des Wissens zurück auf den Boden der Wirklichkeit. Was müssen wir wissen – nicht um im Millionenquiz zu bestehen, sondern im Leben selbst. Welche sind die Wissens-Werte, auf die wir unsere jeweils sozial- und berufsspezifischen Wissensgebäude bauen.

Ist die Wissensgesellschaft, wie die Informationsgesellschaft oft euphorisch auch genannt wird, in der Lage, auch jene Quellen der Ver-Gewisserung offenzuhalten, an denen der Wissensdurst gestillt wird, oder sind die diesbezüglichen Quellenangaben längst unter dem Wust der Informationen aus zweiter Hand verschüttet.

Ich teile die Kritik von Konrad-Paul Liessmann an der ständigen Verwechslung von Wissensmanagement mit Informationsmanagement. Information ist der Rohstoff, aus dem der schöpferische Geist Wissen bezieht. Zugegeben: zur Information gehört auch der Bestand an gesichertem Wissen, all das außer Frage und deshalb außer Streit stehende, gespeicherte Wissen. Mit ihm professionell umzugehen, auch innerhalb einer Organisation, im Sinne von „Wenn Siemens wüsste, was Siemens weiß“, das ist zweifellos eine Management-Aufgabe. Und Wissen ist auch das gesicherte und angelernte „Gewusst-Wie“, das sozusagen Handwerkliche in all seinen Anwendungsformen. Aber Wissen ist auch noch etwas anderes: „Wahres Wissen erwirbt man durch verstehendes Aneignen. Wissen ist immer auch subjektiv“ (Liessmann).

Dieser Vorgang der individuellen Aneignung ist unverzichtbar, wenn Lernen gelingen und Neugier wachgehalten werden soll. Woher sollten all die in den Personalfragebögen geforderten „social skills“ kommen, wenn nicht aus einem mit Persönlichkeitsbildung untrennbar verschränkten Wissenserwerb. Und woraus Standfestigkeit und Mut zu vorurteilsfreiem Denken, wenn nicht auf der Grundlage von Eigenständigkeit durch eben jenes verstehende Aneignen.

Eigenständige Urteilskraft und Trittsicherheit im Sozialen ist nicht nur angesichts der in fast allen beruflichen Bewährungsfeldern geforderten Flexibilität geradezu überlebensnotwendig. Sie liefert auch das geeignete Rüstzeug für den Umgang mit immer rascherer Entwertung von Wissensbeständen. „Es ist schlimm genug (…), dass man jetzt nichts mehr für sein ganzes Leben lernen kann. Unsere Vorfahren hielten sich an den Unterricht, den sie in ihrer Jugend empfangen; wir aber müssen jetzt alle fünf Jahre umlernen, wenn wir nicht ganz aus der Mode kommen wollen“. Diese Klage über immer kürzer werdende Halbwertszeiten des Wissens lässt schon Goethe durch Eduard in den „Wahlverwandtschaften“ laut werden. Der Soziologe Hartmut Rosa (Schiller-Universität Jena) zitiert sie in seiner faszinierenden Studie über „Beschleunigung – Veränderung der Zeitstruktur in der Moderne“.

Zwei Jahrhunderte später erweisen wir Menschen uns als erstaunlich begabt dafür, bei einem zwischenzeitlich noch viel größeren Tempo des Wandels teils bravourös, teils leidlich mitzuhalten. Die technologiebedingte Überalterung von Wissens- und Kapitalbeständen hat nie gekannte Dimensionen angenommen. Was Josef Schumpeter als „schöpferische Zerstörung“ bezeichnete, bekam mit der Neuordnung der ökonomischen Kräfteparallelogramme nach der Implosion der ehemaligen kommunistischen Staatswirtschaften zusätzliche Dynamik. Es liegt in unserer Verantwortung, darauf zu achten, dass die entfesselte globale (Finanz-)Marktdynamik nicht jene menschlich-kulturellen Wissens-Werte gefährdet, auf denen funktionierende Marktsysteme letztlich beruhen und aus denen sie sich erneuern.

Mit der Erkenntnis, dass Menschen raschen Wandel vor allem dann gut bewältigen, wenn sie auf dauerhafte geistig-emotionale Besitzstände zurückgreifen können, wird die Auseinandersetzung mit ausgewählten Wissens-Werten umso dringender. Es geht dabei um die bewusste Entscheidung für Auswahl, um Schneisen für Persönlichkeitsbildung und eigenständige Wege zum Wissen im Überangebot von Information, um Spam-Filter gegen uns überfordernde Medienwirklichkeiten. Ein Scheitern dieser Bemühungen inmitten einer richtungslosen, in Beliebigkeit entgleitenden Moderne würde in einem Zustand des „rasenden Stillstands“ (Hartmut Rosa) münden, der letztlich lähmend auf die Erneuerungskräfte einer Gesellschaft wirkt.

III. Wert-Schöpfung: Der ordnungspolitische Auftrag

Friedrich Schiller, der „Erfinder des deutschen Idealismus“ (Safranski), durch seine kulturtheoretischen Schriften nicht weniger bedeutsam denn als Dichter, sah erstaunlicherweise schon die Moderne seiner Zeit als eine Kultur, die allzu sehr unter dem Diktat der Nützlichkeit steht. Er kritisiert sie als geschlossenes System der Zweckrationalität und der instrumentellen Vernunft, in der es keinen Sinn mehr für die schöne Zwecklosigkeit gäbe. Eine ähnliche Kritik richtet sich heute gegen die einseitige Betonung der Marktkräfte und Orientierung an Geld-Werten im Sinne eines einseitig verstandenen Shareholder-Value.

Dem stellt Schiller einen Gestaltungsauftrag gegenüber, den er in einem Brief an Wilhelm von Humboldt so umschreibt: „Am Ende würden wir uns schämen, uns nachsagen zu lassen, dass die Dinge uns formten und nicht wir die Dinge“. Ein Appell mit erstaunlicher Aktualität. Immerhin werden die Marktkräfte in der Meinung des medialen Mainstreams als so wirkungsmächtig eingeschätzt, dass kaum mehr Möglichkeiten offen bleiben, „die Dinge zu formen“.

Nun liegt es mir fern, die Wirkungsmacht einer Wettbewerbswirtschaft unterschätzen zu wollen. Unter den entsprechenden Voraussetzungen (Rechtsstaat, Demokratie) und Rahmenbedingungen (Wettbewerbspolitik, Spielregeln für soziale, ökologische und kulturelle Nachhaltigkeit) gibt es kein leistungsfähigeres System zur Entfaltung der wirtschaftlichen Potentiale aller Marktteilnehmer, zur Zuordnung knapper Ressourcen und zur Schaffung von Wohlstand für eine möglichst große Zahl von Menschen. Die „spontane Ordnung“ ist darin allen Versuchen einer planvollen Feinsteuerung unterlegen.

Aber, und dieser Akzentunterschied scheint mir entscheidend: wir haben doch auf systemischer Ebene die Verantwortung dafür, „die Dinge zu formen“. Gerade weil wir solchermaßen Ergebnisverantwortung für die Resultate marktwirtschaftlicher Dynamik zu tragen haben, gibt es einen ordnungspolitischen Gestaltungsauftrag, ein „Primat der Politik“, auch in Zeiten globalisierter Märkte. Dies gilt für den Bereich der finanzmarktpolitischen Spielregeln ebenso wie für internationale Umwelt-, Energie- und Verkehrspolitik oder etwa Gesundheits- und Bildungspolitik. Dabei ist die Suche nach den geeigneten System-Plattformen internationaler Gewaltenteilung und nach der Gestaltbarkeit von Spielregeln mit dem rapiden Bedeutungsverlust des klassischen Nationalstaates zweifellos anspruchsvoller geworden.

Wenn in Österreich und Europa Lebens- und Gesellschaftsmodelle geglückt sind, die eine im Geschichtsvergleich einzigartige Qualität aufweisen, dann ist dies nicht zuletzt einem immer noch vitalen Bestand an Wissens-Werten zu verdanken, mit denen ein bis heute tragfähiges demokratiepolitisches, soziales und ökologisches Wirtschaftsmodell fundiert wurde. Ihr Kernbestand leitet sich aus „Jenseits von Angebot und Nachfrage“ (Wilhelm Röpke) gegründeten Glaubens- und aufgeklärten Werteüberzeugungen ab, denen das europäische Modell sein solides ordnungspolitisches Fundament verdankt.

Noch lange vor dem Ordo-Liberalismus liegen ihre Wurzeln in der Aufklärung und dem Bild, das Adam Smith von einer marktwirtschaftlichen Ordnung entworfen hat. Im freien Wettbewerb sollten sich die, die eine Sache am besten (herstellen) konnten, behaupten, jenseits von Zunftordnungen und feudalen Vorrechten. In freier Preisbildung würde sich in einer arbeitsteiligen Unternehmerwirtschaft die sparsamste Verwendung der Ressourcen und effizienteste Verteilung der Güter und Dienstleistungen an die Konsumenten einrichten lassen. Und wie von einer „unsichtbaren Hand“ gelenkt sollte das individuelle Streben aller Wirtschaftsteilnehmer am Ende zu erhöhter Wertschöpfung führen, die im Umweg über das Steuersystem für die gesamte Gesellschaft nützlich wird.

Adam Smith war dabei – und das wird heute von den Marktfundamentalisten oft übersehen – keinesfalls der Verteidiger einer uneingeschränkten Herrschaft der Märkte. Er wusste, dass der Markt nicht aus sich selbst heraus die Voraussetzungen für sein Funktionieren sicherstellen kann. Es bedarf dazu einer im Hinblick auf das Rechtssystem, das Bildungssystem und das Sozialsystem gut funktionierenden politischen Ordnung – also dessen, was wir heute als eine demokratische Bürgergesellschaft beschreiben. Dieses Verständnis einer Wirtschaftsordnung liegt letztlich dem europäischen Modell der verantworteten Marktwirtschaft zugrunde.

IV. Verantwortete Marktwirtschaft: ein globalökonomischer Ansatz

Die moderne Sozialökonomie ist längst über eine simple Dichotomie von Markt und Staat hinaus. Der Staat hat nicht nur Verantwortung für Rahmenbedingungen, er bringt auch unverzichtbare institutionelle und infrastrukturelle Vorleistungen. In den Bildungs- und Sozialsystemen sorgt er für einen Rahmen, in dem auch der Dritte Sektor, also die Freiwilligenwirtschaft und der Non-Profit-Bereich, ihren immer wichtiger werdenden Raum finden. Die Gestaltungsmöglichkeiten verantworteter Marktwirtschaft reichen damit weit über die gegenseitige Aufrechnung von Marktversagen mit Staatsversagen hinaus.

 

Vor dem Hintergrund einer merklich zunehmenden Entfremdung zwischen den Verantwortungsträgern in der Wirtschaft und jenen, die Systemreformen zugunsten sozialer und ökologischer Nachhaltigkeit einmahnen, gilt es heute, unter den Bedingungen der Globalisierung gemeinsame ordnungspolitische Positionen und Innovationen zu erringen, wie das in Europa ab Mitte der Siebzigerjahre in der Umweltökonomie – im Gefolge etwa der vom Club of Rome angestossenen Diskussion um die „Grenzen des Wachstums“ – auf exemplarische Weise gelungen ist.

Auf dem Weg zu solchen Einigungen sind die supranationalen NGO´s längst zu unverzichtbaren „countervailing powers“ der transnationalen Konzerne geworden. Andererseits steigt in vielen Unternehmen das Bewusstsein für einen Gestaltungsauftrag, der über die Ergebnisverantwortung der eigenen Bilanz weit hinausreicht. Die „triple-bottom-line“, also die Kombination aus wirtschaftlichem Erfolg, sozialer und ökologischer Verantwortung, wird zum Bezugpunkt nicht nur einer daran interessierten politischen Öffentlichkeit, sondern immer mehr auch kritischer Konsumenten, die wieder einmal ihre Macht entdecken. Stand in den späten Siebzigerjahren das Erzwingen ökologischer und qualitativer Standards im Mittelpunkt, geht es heute vor allem um faire Produktionsbedingungen und die Verantwortung der Unternehmen gegenüber den Menschen an prekären Standorten in Niedriglohnländern.

V. Basis-Wissen: Das Ende der Bildungs-Armut

Überall dort, wo die gesellschaftlichen Voraussetzungen für die Schaffung marktwirtschaftlicher Wertschöpfungsstrukturen gegeben sind, entstehen zumindest ökonomische Voraussetzungen für das Verschwinden der Massenarmut. Die Wege aus der Armutsfalle lassen sich allerdings nicht allein mit marktwirtschaftlicher Öffnung beschreiten. Meist müssen sie durch konkrete Maßnahmen der Armutsbekämpfung in den Bereichen Bildung, Gesundheit und Infrastruktur erst gangbar gemacht werden.

Jeffrey Sachs („Das Ende der Armut“) hat nachdrücklich darauf hingewiesen, dass „Trade not aid“ ein viel zu kurz greifendes, defaitistisches Rezept zur Armutsbekämpfung ist. Denn Liberalisierung gibt ja erst jenen Chancen, die zuvor aus den ärgsten existentiellen Zwängen befreit wurden. Es bedarf daher einer systematischen, globalen Anstrengung, innerhalb derer bildungs- und gesundheitspolitischen Maßnahmen ein besonderer Stellenwert zukommt. Zur Durchführung würden in Summe jene Mittel der wohlhabenden Staaten ausreichen, die seit dem Milleniums-Gipfel als Verpflichtung festgeschrieben sind – nämlich 0,7 Prozent des Bruttosozialproduktes der Geberstaaten.

Die Erfüllung dieses Prozentsatzes steht allerdings seitens der meisten Länder noch aus. Alternativ oder ergänzend dazu sollte die Einführung von Kapitalverkehrssteuern und/oder Devisentransaktionssteuern konzipiert werden. Vorüberlegungen zu einer dafür geeigneten Spielart der Tobin-Tax gibt es in der EU und in jüngster Zeit auch seitens der im österreichischen Parlament vertretenen Parteien.

Effektive Armutsbekämpfung setzt die Umsetzung von Bildungsprogrammen voraus, die wiederum nur unter der Vorbedingung der Bekämpfung von Hunger greifen können. Die G8-Staaten haben in den letzten Jahren ihre diesbezüglichen materiellen Anstrengungen durchaus erhöht. In über 70 von 110 untersuchten Ländern stellte die Unesco starke Steigerungen der Bildungsausgaben fest, die Analphabetismus-Quote ist in vielen Ländern gesunken.

Dennoch ist die Entwicklung in den fünfzig am wenigsten entwickelten Ländern unbefriedigend, weil es an strategischen Prioritäten zu fehlen scheint. Allerdings können jene Staaten nicht aus der Pflicht entlassen werden, in denen oft die einfachsten Regeln einer soliden Regierungstätigkeit vernachlässigt werden. Nicht wenige Staaten verfehlen das zivilisatorische Minimum und versinken in Despotentum, Stammesfehden und Korruption.

Für eine vorausschauende, strategische Investition in konkrete Bildungs- und damit Friedenspolitik müssten die Mittel gegenüber den zuletzt jährlich zur Verfügung stehenden 4,4 Milliarden USD zumindest verdreifacht werden. Dies vor dem Hintergrund von jährlich drei Billionen USD, die weltweit für militärische Zwecke ausgegeben werden. Erst die Neubelebung der brachliegenden Wissens-Werte wird die ungeheuren Potentiale an Wertschöpfung und kultureller Vielfalt in den bisher benachteiligten Ländern fruchtbar machen können.

Vom „Wagnis der schöpferischen Vernunft“ hat einst Friedrich Heer gesprochen, wenn es um konzeptive Aufbrüche in der Gesellschaft ging. Wir werden uns darauf einlassen müssen, wenn wir durch taugliche Entwürfe einer sozial und ökologisch verantworteten Marktwirtschaft die wachsenden globalen Risiken politischer Instabilität in Grenzen halten wollen.

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