Verantwortete Marktwirtschaft

Die Finanzkrise als ordnungspolitischer Wendepunkt: Verantwortete Marktwirtschaft gegen soziale Ausgrenzung

 

Vortrag vor der Bischöflichen Kommission „Iustitia et Pax“, Wien, 19.04.2010

I.

Als ich vor einiger Zeit eingeladen war, eine Woche lang in OE1 die „Gedanken für den Tag“ um drei vor sieben am Morgen zu gestalten, war einer meiner Ausgangspunkte die Bezugnahme auf den damals gerade Oskar-nominierten Film „Darwin´s Nightmare“ des Tirolers Hubert Sauper. Er zeigt in seiner Dokumentation Extreme der Gottverlassenheit, Lebensverhältnisse von Menschen, die ihrem Schicksal zwischen der Unterdrückung durch korrupte Regime und Billigstarbeit für Großkonzerne hilflos ausgeliefert sind.

Und ich stellte die rhetorische Frage, ob wir uns damit abfinden wollen, in einer Welt darwinistischer Spielregeln zu leben – oder ob wir einen Mit-Gestaltungsauftrag haben. Auf das wirtschaftliche Handeln übertragen: ob wir nicht aufgerufen sind, am „intelligent design“ einer Welt mitzubauen, die durch ein vernünftig geordnetes Wirtschaftssystem den permanenten Versuch unternimmt, Effizienz mit Gerechtigkeit, Wachstum mit Nachhaltigkeit und Freiheit mit Verantwortung zu kombinieren.

Es ist uns ja merkwürdig selbstverständlich geworden, im wirtschaftlichen Zusammenhang das Menschenbild des nutzenmaximierenden „homo oeconomicus“ für gegeben anzunehmen. Dieser lebt mit uns wie ein alter ego, mit dem wir uns immer dann identifizieren, wenn es um materiellen Erfolg geht. Wie bei Dr.Jekyll und Mr.Hide wären wir demnach in unserem privaten Leben soziale Kooperations- und Beziehungswesen, in unserem Geschäftsleben hingegen kalt-rational handelnde Funktionsfiguren, die andere ständig ausnützen, wenn es ihrem Vorteil dient.

Aber natürlich – so sagt uns unser Glaubenswissen – ist der „homo oeconomicus“ ein Missverständnis. Aus sehr eng gesteckten Modellannahmen bestimmter Entscheidungssituationen heraus wurde er in der ökonomischen Theorie zum Hilfsvehikel für die Erklärung rationalen Verhaltens der Wirtschaftssubjekte. Im Wesentlichen handelt genau davon die sogenannte Mikroökonomie. Wir verdanken dieser nützlichen, modellhaften Gedankenkrücke unser Wissen über die Nutzenmaximierung, über die Preisbildung von Luxusgütern, über den abnehmenden Grenznutzen. Dagegen wäre noch wenig einzuwenden.

Allerdings wurde mit der Zeit die praktische Vereinfachung einer Entscheidungssituation für die Wirklichkeit als Ganze genommen. Und so entwickelte sich aus der Annahme, rationale Nutzenmaximierung sei ein ökonomisches Generalrezept, der fatale Irrglaube, das Modell einer perfekten Marktökonomie sei auch ein gesellschaftspolitisches Idealbild, dem man nur hinreichend nacheifern müsse, um die Welt besser zu machen.

„Die Überzeugung, dass die Wirtschaft Autonomie erfordert und keine moralische Beeinflussung zulassen darf, hat den Menschen dazu gedrängt, das Werkzeug der Wirtschaft sogar auf zerstörerische Weise zu gebrauchen. …. Das Wirtschaftsleben kann (aber) nicht alle Probleme durch die schlichte Ausbreitung des Geschäftsdenkens überwinden“ heißt es dazu in der jüngsten Sozialenzyklika „Caritas in Veritate“

II.

Lord Blankfein, der CEO von Goldman Sachs, fühlte sich erst kürzlich kräftig auf den Schlips getreten, als man kritisch auf seine Äußerung reagierte, die Investmentbanker erfüllten mit ihrem Tun in einem gewissen Sinn sogar „Gottes Auftrag“. Er war davon ausgegangen, dass alle anderen seine marktreligiöse Sicht teilen müssten, die Summe der Einzelanstrengungen aller Investmentbanker sei – so egoistisch sie auch vorgehen mögen – am Ende doch zum Vorteil der gesamten Gesellschaft.

Das erinnert uns an das Bild von der „unsichtbaren Hand“ des Marktes. Es wurde geprägt von Adam Smith, dem großen Moralphilosophen und politischen Ökonomen, der vor gut zweihundert Jahren mit seinem bahnbrechenden Werk über „Den Wohlstand der Nationen“ (Wealth of Nations“) die unstrittigen Vorteile freier Märkte erstmals in einem geschlossenen Denkansatz schilderte und damit den Aufbruch der Zivilisation in die moderne Industriegesellschaft einläutete.

Adam Smith tat dies als großer Aufklärer, der sich gegen die eingefahrenen Vorrechte des Feudalismus einerseits und der Zünfte und Zollvereine andererseits wehrte, um die Vorteile selbstverantworteten, selbständigen Wirtschaftens im freien Austausch über Ländergrenzen hinweg herauszuarbeiten: In freier Preisbildung lässt sich in einer arbeitsteiligen Unternehmerwirtschaft die sparsamste Verwendung knapper Ressourcen und die effizienteste Verteilung der Güter und Dienstleistungen an die Konsumenten organisieren.

Die dabei entstehende „spontane Ordnung“, wie sie F.A.Hayek später nannte, kann von keiner zentralen, planenden Intelligenz übertroffen werden. Und sie funktioniert, ohne dass der Einzelne dabei ständig an das Ganze denken muss – es genügt, wenn er im durchaus eigennützigen Interesse, seinem Lebensunterhalt zuliebe, marktgängige Leistungen für seine Kunden erbringt. Dass daraus im Idealfall eine ständige Optimierung der Ressourcenverteilung folgt, ist nicht sein unmittelbares Verdienst, sondern eben jenes der richtigen institutionellen Ordnung der Freiheit.

Oder aber – in einem nicht zwangsläufig metaphysischen Sinn – das Verdienst der „unsichtbaren Hand“. Sie steht metaphorisch für die Tatsache, dass das individuelle Streben aller Wirtschaftsteilnehmer am Ende zu erhöhter Wertschöpfung führt. Diese – so können wir heute hinzufügen – stiftet im Umweg einer politisch-ökonomischen Willensentscheidung durch das Steuer- und Sozialsystem Nutzen auch für jene, die nicht unmittelbar am Marktsystem teilnehmen – etwa weil sie zu jung oder zu alt sind oder zu schwach, um sich leistend einzubringen.

Adam Smith war dabei – und das wird heute von den Marktfundamentalisten oft übersehen – keinesfalls der Verteidiger einer uneingeschränkten Herrschaft der Märkte. Er wusste, dass der Markt nicht aus sich selbst heraus die Voraussetzungen für sein Funktionieren sicher stellen kann. Es bedarf dazu einer im Hinblick auf das Rechtssystem, das Bildungssystem und das Sozialsystem gut funktionierenden politischen Ordnung – also dessen, was wir heute als eine demokratische Bürgergesellschaft beschreiben. Ein solches Verständnis einer Wirtschaftsordnung als Teil einer politischen Ordnung (daher das Wort: „Ordnungspolitik“) liegt letztlich dem europäischen Modell einer „Verantworteten Marktwirtschaft“ zugrunde.

Die Anhänger des Marktfundamentalismus haben allerdings unter dem Einfluss einer weit über das Ziel schießenden Liberalisierung der Finanzmärkte diese weitgehend regelfreie Wirtschaftswildnis zusehends mit einer Wirtschaftsordnung verwechselt. Sie konnten so – wenn schon nicht in Gottes Auftrag so doch guten Gewissens – ihren Eigennutz ungezügelt vorantreiben und bildeten sich ein, innerhalb dieser grotesken Weltsicht auch noch der Allgemeinheit zu dienen. Denn Teil dieser Allgemeinheit sind ja auch die „Shareholder“ – darunter Investoren in Fonds und Pensionskassen – denen zuliebe sie ihre Geschäfte zügellos vorantreiben.

III.

Wir wissen heute, dass die Wirtschaftskrise nicht nur ein kollektives, herdentriebartiges Versagen vieler einzelner Verantwortlicher war, sondern vor allem ein Systemversagen. Und wir wissen, dass dieses Systemversagen wohl auf einem Theorieversagen beruht. Kein Wunder daher, dass Ökonomen zunehmend den Kopf darüber zerbrechen, wie sie mit der manifesten Krise ihrer Lehrgebäude umgehen sollen. Mitunter versucht man die Ratlosigkeit mit Selbstironie zu bekämpfen: so wurden schon in mehreren Ländern Vereine zur Gründung einer „post-autistischen“ Ökonomie gegründet.

Ernster gemeint war das Treffen von Spitzenvertretern der Wirtschaftswissenschaft am vorletzten Wochenende in den Hallen des King´s College in Cambridge, dort, wo in den 30-er Jahren John Maynard Keynes (wie es im Presse-Bericht darüber so schön heißt:) „angetreten war, um den Kapitalismus durch eine neue Theorie vor sich selbst zu retten“. Ihr Ziel war, es dem großen Vorbild nach der ersten großen Weltwirtschaftskrise seit den Dreißigerjahren gleichzutun.

 

Bevor jedoch Neues entstehen kann, muss das Bestehende kritisch analysiert werden, muss den systemischen Ursachenketten hinter der Finanzmarktkrise auf den Grund gegangen werden. Ich will dazu jetzt nicht in die Tiefe gehen – dafür ist hier nicht der Platz – aber doch beispielhaft andeuten, wie es sein konnte, dass 2008 ausgerechnet jener Finanzmarkt kollabierte, der doch von allen als der rationalste Markt mit den perfektesten Regelkreisen angesehen wurde.

Im Vorfeld der Finanzkrise waren sogenannte Derivate – letztlich Wetten auf künftige Marktentwicklungen – und strukturierte Wertpapiere die am stärksten wachsenden Finanzprodukte. Kaum jemand, am wenigsten die Notenbanken und die Finanzmarktaufsichten dieser Welt, zeigte sich von deren explosionsartigem Wachstum beunruhigt. Man wähnte sich in einer Welt, geschlossener Regelkreise, in denen Preissignale und Bonitätseinschätzungen durch Rating-Agenturen der beste Schutz gegen Marktversagen sind.

Adair Turner, der Chef der britischen Finanzmarktaufsicht, zitierte bei der erwähnten Ökonomentagung in Cambridge genüsslich aus einer Einschätzung des Internationalen Währungsfonds (IWF) aus dem Jahr 2006 zu den Vorzügen dieser synthetischen Finanzprodukte: es könne, so der IWF damals sinngemäß, gar nicht genug davon geben, denn diese Produkte schüfen zusätzliche Liquidität, verbesserten die finanzielle Stabilität und machten das Finanzsystem insgesamt widerstandsfähiger gegen Schocks.

Entgegen dieser Sicherheitsillusion taten sich dann hinter der theoretisch so stabilen Fassade vollliberalisierter Finanzmärkte wahre Abgründe auf. Die gesamte Statik der hochschießenden Fassaden der neuen Finanzmarktarchitektur erwies sich als unzuverlässig und katastrophenanfällig. Die Finanzmarktkrise führte zu einer deutlichen Erhöhung der Ungleichheit und löste eine fundamentale Vertrauenskrise aus – nicht nur zwischen einzelnen Gruppen von Marktteilnehmern, sondern gegenüber dem System als Ganzem.

Wir haben es mittlerweile mit einer handfesten Legitimationskrise unseres Wirtschaftssystems – oder wenigsten bestimmter Ausprägungen davon – zu tun. Diese Legitimationskrise verstärkt sich aus zwei Quellen: einerseits der Finanzmarktkrise, andererseits einer ordnungspolitisch noch nicht bewältigten Globalisierung, von der wir wissen, dass sie durch geschichtsblinde, auf konkrete Entwicklungsverhältnisse zu wenig bezugnehmende Liberalisierung allein nicht zu bewältigen ist. Wer in dieser Situation die Marktwirtschaft vor sich selbst retten will, wie es seinerzeit Keynes mit seiner Theorie der Beschäftigung gelungen ist, wird also weit ausholen müssen.

IV.

Interessanterweise scheint die Lösung dafür nicht in der Erfindung von etwas ganz Neuem oder in der Flucht in das ganz Andere zu liegen. Alternative marktwirtschaftliche Entwürfe werden vielmehr bei jenen ordnungspolitischen Prinzipien anzuknüpfen haben, die seinerzeit der Sozialen Marktwirtschaft zugrundegelegt wurden. Es geht darum, jenen Kreuzungspunkt zu finden, an dem wir irgendwann zu Mitte der Neunzigerjahre begonnen haben, systemhaft vom ordnungspolitischen Pfad der Tugend abzuweichen und die krisenursächliche Trennung der Finanzwirtschaft von der Realwirtschaft einzuleiten.

Diese Kreuzungspunkte sind benennbar und haben im Finanzierungssystem im Kern mit dem Übergang von einer bankorientierten auf eine kapitalmarktorientierte Finanzierungskultur zu tun. Die Aufgabe des gläubigerorientierten Vorsichtsprinzips in der Bilanzierung zugunsten des vermeintlich anlegerorientierten Prinzips der Markbewertung aller Bilanzpositionen steht exemplarisch für eine Reihe anderer ordnungspolitischer Sündenfälle. Selbst die zur Stabilisierung des Bankensystems erfundenen Regulative von Basel II haben sich letztlich als wesentliche Mitverursacher der Krise erwiesen, weil auch sie auf Kurzfristigkeit und Mikrostabilität statt Nachhaltigkeit und Systemstabilität abgestellt haben.

V.

Wenn ein Wirtschaftssystem Sinn machen soll, muss es ein Höchstmaß an Produktivität und Wertschöpfung mit sozialem Ausgleich und ökologischer Verträglichkeit verbinden. Das durch kluge Ordnungspolitik zu ermöglichen, ist schon auf Ebene des Nationalstaates keine einfache Aufgabe. In Zeiten der Globalisierung kommt als Komplikation dazu, dass ein solches System auch Grundelemente einer globalen Vision beinhalten muss, die Ansätze von globalem Ausgleich hinsichtlich der Verteilung von Ressourcen und Überlebenschancen beinhaltet.

Ein Verzicht auf diese – etwa im Global Marshall Plan enthaltene – übergeordnete Sicht würde zweifellos den heute schon existierenden globalen Sozialdarwinismus weiter fördern. Die Welt würde damit noch unfriedlicher als sie es ohnehin schon ist.

Es gibt ja bedauerlicherweise eine wachsende Zahl von Ländern, in denen jene Grundvoraussetzungen, die schon Adam Smith als unabdingbar für das Funktionieren eines Wirtschafs- und Wohlstandssystems ansah, schlicht nicht gegeben sind: die Durchsetzbarkeit von Recht (Rule of Law), die Gewährleistung der grundlegenden Menschenrechte, eine zumindest korruptionsarme politische Elite.

Den meisten großen, international agierenden Unternehmen ist es mittlerweile bewusst, dass sie überall, wo sie tätig sind, letztlich auch für das Soziale und das Politische Mitverantwortung tragen. Diese Verantwortung ergibt sich aus der Tatsache, dass vor allem größere Unternehmen aufgrund ihrer sozialen Gestaltungsmacht neben den drei demokratiepolitisch wirksamen Gewalten der Legislative, Exekutive und Rechtssprechung und neben den Medien als „vierter Gewalt“ in der Realverfassung unserer Gesellschaft so etwas wie eine „fünfte Gewalt“ darstellen.

Das einzelwirtschaftlich erwünschte Verhalten hat Johannes Schasching mit dem Dreiklang von „Sachgerecht – sozial gerecht – umweltgerecht“ gültig festgehalten. In der Sprache der Ökonomie ist das die „triple bottom line“: unter dem Strich der Bilanz sollten neben soliden Zahlen möglichst auch positive Resultate im Bereich des Sozialen und der Umweltgerechtigkeit stehen.

VI.

Darüberhinaus gibt es aber eine zusätzliche Dimension. Unternehmen tragen eine sozialethische Verantwortung, an der Gestaltung der neuen Spielregeln mitzuwirken, mit denen wir unser Wirtschaftssystem aus seinen aktuellen Problemen führen wollen. (Karl Homan). Das verlangt nach einem Überdenken traditioneller Interessensvertretung.

Traditionelle Lobby-Politik ist in der Regel sehr einseitig auf engste Brancheninteressen und die Erhöhung kurzfristiger Geschäftschancen ausgerichtet. Das gilt aktuell für die Finanzwirtschaft der großen internationalen Börsenplätze gegen strengere Regulative, wie sie derzeit die EU anstrebt. Dem entgegen steht eine unabweisbare zivilgesellschaftliche Mitverantwortung, nach Möglichkeit an Rahmenbedingungen mitzuwirken, die die Gesellschaft als Ganze besserzustellen in der Lage sind.

Es wird Ihnen schon aufgefallen sein, wie sehr das, was ich hier als Reformbedarf für das Wirtschaftssystem anmelde, damit es nicht zu einer Steigerung von Ungleichheit und einer Verhinderung von Lebenschancen führt, letztlich zu einer natürlichen Allianz ordoliberaler mit christlich-sozialen und säkulär-humanistischen Haltungen führt. „Humanistische Synthese“ nennt die Sozialenzyklika „Caritas in veritate“ dieses Bemühen.

Ich hatte die große Ehre, im Juli letzten Jahres gemeinsam mit Herrn Dr.Landau an der Seite von Kardinal Christoph Schönborn die damals gerade neu erschienen Sozialenzyklika als Sozialökonom kommentieren zu dürfen.

Und ich war fasziniert, von der Aktualität und appellativen Kraft dieses Dokuments.

Erstaunlich realistisch werden die neuen, globalisierten Verhältnisse in der Finanz- und Realwirtschaft beschrieben, die zum Teil mit beachtlichen Einschränkungen der staatlichen Souveränität verbunden sind. Auch das übergroße Maß, mit dem die öffentlichen Haushalte unter Inkaufnahme hoher Neuverschuldung in die Bresche springen mussten, ist schon angedeutet.

Von daher werden wir die eigentlichen Bedrohungen des sozialen Friedens erleben. Auf absehbare Zeit können wir nicht mehr davon ausgehen, Verteilungskonflikte mit höherer Verschuldung beschwichtigen zu können. Wir müssen wohl zurück zu einer vertieften Reflexion über den Sinn der Wirtschaft und ihrer Ziele. Dazu bedarf es der Erneuerung einer „Politischen Ökonomie“, in der das Ökonomische wieder zum gedanklichen Teil einer gesellschaftlichen Ordnung der „verantwortlichen Freiheit“ wird.

VII.

Nur mit einer grundlegend erneuerten Wirtschaftsordnung der „verantworteten Marktwirtschaft“ können wir der fortschreitenden Abtragung wertvollen „Gesellschaftskapitals“ entgegenwirken, jener Gesamtheit von Beziehungen, die auf Vertrauen, Zuverlässigkeit und Einhaltung der Regeln gründen und die unverzichtbar sind für jedes bürgerliche Zusammenleben.

Unternehmen, die sich nur dem Shareholder und niemandem sonst verantwortlich führen, verlieren ihre Einbettung in die Gesellschaft und werden letztlich zu gesichts- und verantwortungslosen Fremdkörpern statt zu dynamischen Orten sozialökonomischer Wertschöpfung.

Gemeinsames Ziel muss „die Verwirklichung einer sozial verantwortlichen und nach dem Maß des Menschen ausgerichteten wirtschaftlich-produktiven Ordnung“ bleiben. So heisst es in „Caritas in Veritate“. Und weiter: es gehe darum , „die Globalisierung der Menschheit im Sinne von Beziehung, Gemeinschaft und Teilhabe zu leben und auszurichten – deshalb brauche die Wirtschaft für ihr korrektes Funktionieren eine menschenfreundliche Ethik.“

Aber – so fügt das Dokument in Abwehr der mittlerweile inflationären Ethik-Etiketten hinzu: das Wort „ethisch“ solle dabei „nicht in ideologisch diskriminierender Weise angewandt werden, indem man damit zu verstehen gibt, dass die Initiativen, die sich nicht formell mit dieser Bezeichnung zieren, nicht ethisch seien“.

VIII.

Mit Darwin´s Nightmare habe ich begonnen – und komme auch gegen Schluss noch einmal auf Darwin zurück. Er war wirklich Sozialdarwinist. Er lehnte auf gesellschaftspolitischer Ebene den Sozialstaat ab, weil er darin ein gegen die Evolution gerichtetes Übel sah. Und er hat Gefolgsleute gefunden, die auch heute noch, nach Eintreten der Finanzmarktkrise, die Vorstellung haben, dass alles, was ordnungspolitisch gefordert wird, um Ausgleich und Chancengleichheit zu schaffen, eine unangemessene Marktintervention darstellt. Gegen diese menschenfeindliche, sektiererische Instrumentalisierung des Marktes müssen wir uns wehren.

Es gilt, die mit der Finanzkrise in Gang gesetzte, den Sozialdarwinismus fördernde Spaltung unserer Gesellschaft nicht auch noch systematisch zu fördern, indem wir es etwa verabsäumen, der Finanzwirtschaft neue, strengere Spielregeln zu verpassen. Jede Reform des Wirtschaftssystems muss vielmehr vom Fernziel geleitet sein, Effizienz und Gerechtigkeit vereinbar zu halten.

Joachim Bauer plädiert im Schlusssatz seines Buches „Das kooperative Gen“ dafür, außerhalb des engeren wissenschaftlichen Denkens genügend Freiraum für Reflexionen darüber zu lassen, worin die Würde des Menschen besteht, worin „faire Teilhabe“ besteht und wie sie weiter gefördert werden kann. Wir dürfen uns nicht sagen lassen, das seien unwissenschaftliche Fragestellungen. Ökonomie ist Sozialökonomie und Sozialökonomie ist eine Wissenschaft vom Menschen.

Wenn Gott – wie Bauer das so eindrucksvoll formuliert – „eine Metapher dafür sein sollte, dass sich Menschen einem Bemühen unterwerfen, über alle Kulturen und über die endlose Reihe von Generationen hinweg Menschlichkeit zu bewahren“, dann steht uns ein Mitspracherecht im gesellschaftlichen Diskurs über das zu, was Wissenschaftler tun.

Die Zeit, in der die Ökonomie ein gesellschaftsprägendes Primat beansprucht, ist mit dieser Finanzmarktkrise vorbei. Es gibt ein ordnungspolitisches Vakuum zu füllen. In diesem Sinn haben wir einen Gestaltungsauftrag für die Wiederherstellung einer verantworteten Marktwirtschaft, deren Dynamik systemhaft soziale Ausgrenzung verringert statt sie zu vermehren.

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