die furche - 81

Von der Utopie zum Konzept

 

Die Idee einer Finanztransaktionssteuer macht sichtlich Karriere. Galt sie den meisten bis vor kurzem noch als ambitioniertes, aber weltfremdes Außenseiterkonzept, scheinen nun manche ihrer heftigsten Gegner in die Defensive zu geraten. Der Meinungsumschwung hat nicht nur mit dem Bedürfnis zu tun, die Finanzwirtschaft an den Krisenkosten zu beteiligen, er ist auch das Resultat verbesserten Wissens über ihre Stärken und Schwächen.

 

Ein entscheidender Schritt zum Abbau von Vorurteilen gelang mit der einschlägigen Richtlinie des europäischen Rates im vergangenen Herbst. Das Resultat der zugleich mitgelieferten Wirkungsanalyse: es gibt trotz vieler noch offener Fragen keine einzige Auswirkung, die im Grundsätzlichen gegen die Einführung der seinerzeit von Nobelpreisträger James Tobin geforderten Finanztransaktionssteuer spricht.

 

Der genüsslich vorgebrachte Einwand, Erfinder Tobin selbst habe sich vor seinem Tod 2002 gegen die globalisierungskritischen Intentionen der seine Steuer propagierenden Attac-Bewegung gewendet, hat an Überzeugungskraft verloren. Niemand will mehr einsehen, warum Finanztransaktionen zu den ganz wenigen wirtschaftlichen Vorgängen gehören sollen, die keinerlei Besteuerung unterliegen. Immerhin beliefen sich die bisherigen Kosten der Krise nach Eigenberechnungen der EU-Kommission auf fast 40 % der gesamten EU-Wertschöpfung des Jahres 2009 – sie ausschließlich von der Realwirtschaft und den Steuerbürgern abtragen zu lassen, scheint weder plausibel noch politisch durchsetzbar.

 

Allerdings stehen einer Umsetzung noch beträchtliche Hürden entgegen, deren schwierigste wohl die Weigerung Großbritanniens ist, daran mitzuwirken. Ausweichmanövern ist damit Tür und Tor geöffnet. Während die Frage der Einhebung technisch lösbar scheint, gibt es zur Verteilung der Erlöse, von denen etwa ein Drittel auch dem EU-Budget zugute kommen soll, bisher nur grobe Vorschläge. Geklärt ist hingegen die Frage, wie man einfache, wirtschaftsnahe Vorgänge von der Steuer ausnehmen kann, während häufige, hoch spekulative Transaktionen überproportional einbezogen werden. Immerhin liegt die Summe aller Finanztransaktionen beim 70-fachen des Welt-Sozialprodukts – ihre marginale Besteuerung kann von daher den eigentlich wertschöpfenden Bereichen der Produktion und Dienstleistungen nur geringfügig betreffen.

Unsicherheit herrscht auch noch bei der Einschätzung der Wachstumsfolgen. Während die Wirkungsstudie eine Dämpfung des realen Wachstums zwischen 0,5 und 1,5 Prozent prognostiziert, verweisen Befürworter auf die Tatsache, dass die durchschnittlichen Kosten von Finanzkrisen die wirtschaftliche Entwicklung mit rund 3 Prozent noch viel stärker schwächen. Ein mit Hilfe der Finanztransaktionsteuer wieder krisenfesteres System brächte demnach einen deutlich positiven Netto-Effekt.

Eine der wichtigsten Ideen der Finanzmarktreform ist nun reif für eine seriöse Auseinandersetzung. Ihre mögliche Umsetzung kann jedenfalls nicht mehr als Utopie abgetan werden.

18. Jänner 2012

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