die furche - 70

Zwei Freunde in Weimar

 

Sommerzeit ist auch Lesezeit. Die leichtverdauliche Vielfliegerkost aus dem Flughafen-Shop, von John Grisham über Donna Leon bis Martin Suter, genügt dann nicht, der Lesestoff darf auch Substanz haben. In diesem Sinn empfehle ich „Goethe und Schiller – die Geschichte einer Freundschaft“ von Rüdiger Safranski.

 

Wie aktuell die Stoffe beider Dichter sind, lässt sich derzeit in Salzburg und ab Herbst wieder am Burgtheater erleben: Während im „Faust“ Goethes visionärer Blick auf die Wirrungen moderner Geldwirtschaft und auf aktuelle Fragen der Bioethik fasziniert, werden im weniger bekannten „Parasit“ von Schiller alle uns bekannten Machtspiele modernen Managements nacherlebbar. Um die Wendezeit vom 18. ins 19. Jahrhundert in Weimar wurden die beiden Dichter-Stars für ein Jahrzehnt zu engen Freunden.

 

Rüdiger Safranski, Philosoph und Mit-Erfinder des „Philosophischen Quartetts“, hatte schon 2005, im Erinnerungsjahr an den zweihundertsten Todestag Friedrich Schillers, einen Bestseller über diesen „Erfinder des deutschen Idealismus“ geschrieben. Nun geht es ihm um beide künstlerischen Leitfiguren jener deutschen Aufklärung, die derzeit auch im chinesischen Nationalmuseum in Peking zu besichtigen ist.

 

Zur Freundschaft zwischen den beiden Dichtern kam es erst nach einer längeren Anlaufzeit. Der mit seinen „Räubern“ als rebellischer Exponent des „Sturm und Drang“ hervorgetretene Schiller, zehn Jahre jünger als Goethe, hatte zunächst nach der Flucht aus seiner beengenden badischen Heimat unruhige Jahre zu überstehen. Goethe, durch den Sensationserfolg der „Leiden des jungen Werther“ europaweit berühmt geworden, entkam der drohenden Etabliertheit als hoher Regierungsbeamter durch seinen völlig überraschenden, nächtlichen Aufbruch zur eineinhalb Jahre währenden Römischen Reise.

 

Erst nach seiner Rückkehr traf er 1794 auf Friedrich Schiller. Beiden überwanden rasch anfängliches Misstrauen und fanden intellektuelles Interesse aneinander. Bald spornte sie ihre spannungsreiche Freundschaft zu dichterischen Höchstleistungen an. Während Schiller seine klassischen Dramen verfasste und mit Goethes Hilfe auf die Bühne brachte, erlebt Goethe durch Schiller eine zweite, schöpferische Jugend.

 

Was hier in der Kürze eines Klappentextes geschildert wird, spannt Safranski in seiner unnachahmlichen Dramaturgie so faktenreich und lebendig aus, dass uns diese Zeitreise über dreihundert Seiten lang nicht mehr loslässt.

 

Wer sich so in die Weimarer Moderne von damals geistig eingelebt hat, findet vielleicht noch Zeit und Lust für Martin Walsers späten Roman „Ein liebender Mann“. Der wohl wichtigste zeitgenössische deutsche Dichter schildert darin auf berührende Weise die Altersliebe Goethes, der seinen Dichter-Freund um 27 Jahre überlebte, zu der um ein halbes Jahrhundert jüngeren Ulrike von Levetzow. Auch das ist große Literatur, passend zu einem großen Sommerurlaub und zur Lust, der europäischen Frage wenigstens für ein paar Tage zu entkommen.

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