die furche - 56

An der Schwelle zur Peripherie

 

Handverlesene Hundertschaften von Machthabern und Meinungsbildnern diskutieren auch heuer wieder vor der Davoser Bergkulisse über die aktuelle Weltlage. Als sie vor einem Jahr zusammentrafen, war ihnen der Begriff „Peripheriestaaten“ noch nicht geläufig. Dieser Sammelbegriff für europäische Länder mit Budgetsorgen an den vermeintlichen Rändern der Union deutet auf eine mögliche Abspaltung von jenem Kerneuropa hin, das wir nicht so genau abgrenzen können, seit auch Belgien zu den vermuteten Wackelkandidaten zählt. An solchen Begriffs-Karrieren merkt man, wie kurz so ein Jahr ist.

 

Während Europa darum ringt, sich mit Hilfe einer neuen Finanzverfassung am eigenen Euro-Zopf aus dem Sumpf zu ziehen, stoßen die USA an ihre Verschuldungsgrenzen. Die Abhängigkeit vom Wohlwollen ihres größten Gläubigers China ließ sich an den Bildern der Begegnung zwischen den Präsidenten Obama und Hu Jintao ablesen. Das globale Macht-Parallelogramm hat sich zugunsten jener Länder verschoben, die unbelastet von den Folgen der Finanzkrise über ausreichende Investitions- und Wachstumsreserven verfügen.

 

Die Prognose jenes Jahres, in dem die Wirtschaftsleistung Chinas jene der USA übertreffen wird, ist von der Mitte dieses Jahrhunderts nun bereits auf das Ende dieses Jahrzehnts nach vorne gerückt und wird vom „Economist“ mit 2019 angesetzt. Das politische System Chinas mit seiner zentralistischen Entscheidungsstruktur bei gleichzeitiger Entfesselung dezentraler Marktkräfte hat das Momentum auf seiner Seite.

 

Die meisten traditionellen Marktwirtschaften zeigen sich hingegen unfähig, wenigstens mit dem Wissen von heute für eine Bändigung ihres von kasino-kapitalistischer Dynamik getriebenen Finanzsystems zu sorgen. Manche von ihnen sind sogar gefährdet, in eine strukturelle Unregierbarkeit abzugleiten. Um grundlegende Reformen durchzusetzen, fehlt es ihnen an ordnungspolitischen Leitbildern, die gesellschaftlich einsichtig gemacht werden können.

 

Die Apologeten sich selbst überlassener, unregulierter Finanzmärkte sind an ihrem Anspruch gescheitert, haben aber zugleich den Raum des Politischen bis zur Unbeweglichkeit eingeengt. Deshalb brauchen wir eine lebendige Auseinandersetzung über die richtige Ausprägung einer verantworteten Marktwirtschaft, die Sinn macht, weil in ihr Effizienz und Gerechtigkeit, Wettbewerb und Solidarität, Spitzenleistung und Chancengleichheit keine unauflösbaren Widersprüche sind.

 

Wenn ein autokratischer Kapitalismus mit Ein-Parteien-System nicht zum Vorbild für die vielen halbautoritären Staaten dieser Welt werden soll, müssen wir die jahrzehntelang erfolgreiche Kombination von Markt und Demokratie runderneuern. Verabsäumen wir es hingegen, unser Finanzsystem wieder zu einem Dienstleister der Realwirtschaft zu machen und an die Ideale einer Sozialen Marktwirtschaft anzuknüpfen, werden wir zu Peripherieländern auf der Schwelle zum sozialen Abstieg – und damit zu „Schwellenländern“ in einer heute noch nicht gebräuchlichen Bedeutung.

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