die furche - 32

Vom Ende der Unschuldsvermutung

 

„Es gilt die Unschuldsvermutung“: wir haben uns schon daran gewöhnt, dass Informationen über neue Entwicklungen in diversen Finanzaffären mit dieser salvatorischen Klausel beginnen. Sie ist so etwas wie eine kugelsichere Weste für journalistische Aufklärer, die sich im Gestrüpp ausgefuchster Verschleierungskonstrukte um Wahrheitsfindung bemühen.

 

Offensichtlich brauchen wir künftig wesentlich strengere Maßstäbe für finanzwirtschaftliches Handeln. Der Hinweis von Tilo Berlin, er habe nur seine Hypo-Investoren reicher gemacht, was ja schließlich sein Job als Vermögensverwalter sei, genügt heute nicht mehr. Sein Tun ist durchaus repräsentativ für die zur Gewohnheit gewordene Praxis, Möglichkeiten zur Minderung der Steuerbelastung im Rahmen der internationalen Steuergesetze bis zum Extrem auszureizen.

 

Jahrelang beschäftigten sich die besten Talente in Anwalteien, Wirtschaftsprüfungskanzleien und Investmentbanken mit „innovativen“ Finanzprodukten, die neben der legitimen Erzielung wirtschaftlichen Erfolges immer häufiger die Grenzen zu illegitimer Steuervermeidung überschritten haben. Den meisten fehlte bei der Mitwirkung an noch so ausgefransten Bereicherungsstrategien jegliches Unrechtsbewußtsein. Auf ähnliche Weise verfuhren viele Banken mit den für sie geltenden Regulativen.

 

Eine Karikatur, die ich in einer englischsprachigen Wirtschaftszeitung fand, brachte kürzlich derlei Experten-Komplizenschaft trefflich auf den Punkt. Zwei Finanzberater stecken da die Köpfe zusammen und einer der beiden meint vielsagend: „These new regulations will fundamentally change the way we get around them“. Jeglicher Schritt des Gesetzgebers wird zum Ausgangspunkt immer komplizierterer und teurerer Umgehungsstrategien staatlicher Regulierung, weil als erlaubt gilt, was nicht ausdrücklich verboten ist.

 

Das Berlin´sche Steuervehikel mit Verflechtungen, die nach Luxemburg, Jersey und in die Schweiz reichen, ist dafür exemplarisch. Seine Genussrechtszeichner sollten dank ausgefeilter Sonderkonstruktionen mit ihrem Gewinn steuerfrei davonkommen, obwohl dieser innerhalb der einjährigen Spekulationsfrist angefallen ist. Das wird vielleicht auf irgendeine verquere Weise legal sein – legitim ist es aber keinesfalls.

 

Unterstützt werden solche Vorgangsweisen durch ein lückenhaftes Steuerrecht, intransparente und ihrem Ursprungszweck entfremdete Stiftungen sowie eine überforderte Justiz. Zu forcieren sind deshalb Reformen in allen drei Bereichen: eine (auch international übliche) Besteuerung des Vermögenszuwachses, verschärfte Transparenzregeln in Stiftungen und Investitionsgesellschaften, vor allem aber die Schaffung einer leistungsstarken Wirtschafts- Staatsanwaltschaft.

 

Die dort tätigen Talente könnten mit Sachwissen und unabhängigem Urteil sicherstellen, dass Wirtschaft wieder nach fairen Regeln gespielt wird und die mehrheitlich korrekten Akteure der Finanzwirtschaft jenen Generalverdacht loswerden, der derzeit unausgesprochen ihr Tun überschattet: „Es gilt die Bereicherungsvermutung“.

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