die furche - 19

Das Ende der Sprachlosigkeit

 

Der Erdbebenort Aquila als Treffpunkt der G8-Staaten wurde zum Symbol für den Zustand der Weltwirtschaft: Einstürzende Neubauten einer verfehlten Finanzmarkt-Architektur, umherliegende Trümmer der schwer in Mitleidenschaft gezogenen Realwirtschaft, nahezu  unermessliche Kollateralschäden für den Arbeitsmarkt und die Staatsfinanzen, ungewisse Prognosen hinsichtlich möglicher Nachbeben.

 

Die Veröffentlichung der Sozialenzyklika „Caritas in Veritate“ am Tag vor dem Gipfel kam da gerade „just in time“. Tun doch vor allem die Banken des angloamerikanischen Raumes seit einigen Wochen so, als könnten die Spieltische wieder eröffnet werden, nachdem das Schlimmste überstanden ist. Von solchem Realitätsverlust hebt sich die Enzyklika wohltuend ab. Sie nennt die unangenehmen sozialökonomischen Wahrheiten beim Wort.

 

Eine der größten Gefahren bestehe darin, „dass Unternehmen fast ausschließlich gegenüber den Investoren verantwortlich sind und so letztendlich ihre Verantwortung für die Gesellschaft einbüßen“. Dabei müsse es doch um das Ziel gehen, sich „um eine sozial verantwortliche und nach dem Maß des Menschen ausgerichtete Wirtschaftsordnung zu bemühen“.

 

Nach dem Zusammenbruch der kommunistischen Länder Osteuropas sei eine umfassende ordnungspolitische Anstrengung unterblieben. Stattdessen habe die einseitige Übertreibung der ökonomischen Freiheitsrechte zu einer Vernachlässigung der Pflichten gegenüber dem Menschen und dem Sozialen geführt. Nur eine „verantwortliche Freiheit“ versetze uns aber in die Lage, die eindrucksvolle Dynamik wirtschaftlicher Entfaltung so auszurichten, dass sie am Ende dem Menschen „als Urheber, Mittelpunkt und Ziel aller Wirtschaft“ dient.

 

Die Globalisierung – sie wird in dieser tatsächlich Wahrheits-liebenden Enzyklika keineswegs fundamental verurteilt – habe zu einer gegenseitigen Abhängigkeit der Wirtschaftsräume geführt, der „bis heute keine ethische Wechselbeziehung von Gewissen und Verstand der Beteiligten“ entspricht. Der naive Glaube, es ließen sich „alle Probleme durch die schlichte Ausbreitung des Geschäftsdenkens überwinden“ sei gescheitert.

 

Den gesamten päpstlichen Text zeichnet Wirklichkeitssinn aus. Er ist in jedem der beschriebenen Problemfelder andockfähig an zeitgemäße Reform-Diskurse. Endlich besteht damit die Chance auf ein Ende der Sprachlosigkeit zwischen den unternehmerisch Verantwortlichen und jenen, die aus religiöser und/oder humanistischer Überzeugung auf Veränderung drängen.

 

Die Enzyklika enthält nur wenige konkrete Lösungsansätze. Gerade daraus folgt aber umso zwingender ein Gestaltungsauftrag. Denn Wert-Schöpfung, an der alle teilhaben können, „findet nur in einer offenen Gesellschaft statt, die ihre Entfaltungsmöglichkeiten ständig in Bezug setzt zu Rahmenbedingungen verantwortlichen Handelns“. Das ist ein eindeutiger sozialethischer Imperativ für die mitunter in Selbstgewissheit erstarrenden Wirtschafteliten: handelt so, dass Euer Tun auch jenseits der Zahlenwerke bestehen kann.

18. Juli 2009

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