die furche - 18

Unsere Freiheit - ihre Freiheit

 

Veni Vidi Verdi. Das berühmte Requiem mit Gesangssolisten aus Istanbul, Petersburg, Riga und Hamburg wurde in der Nepomukkirche zum mitreißenden Erlebnis. Vijay Upadhyaya hatte mit den Chören und dem Orchester der Universität Wien Wunderbares geleistet. Weil der aus Indien stammende Dirigent auch ein Jugendorchester in Teheran leitet, sollte dieses ursprünglich den Instrumentalpart übernehmen. Die aktuelle politische Situation verhinderte aber diese west-östliche Musikpartnerschaft. Umso eindrücklicher wurde das vielstimmige „libera me“ zu einem überkonfessionellen Befreiungs-Appell.      

 

Dabei gingen mir die vielen jungen Menschen der iranischen Opposition durch den Kopf. Unter Einsatz ihres Lebens kämpfen sie für ganz konkrete demokratische Basis-Freiheiten. Für die Korrektheit von Wahlen. Für Versammlungsfreiheit, für Medienfreiheit, für eine offenere Gesellschaft. Für Rechte und Spielräume, die uns so selbstverständlich sind, dass wir oft darauf verzichten, sie auszuüben.

 

Mehr als uns bewusst ist, lebt nämlich lebendige Demokratie davon, dass wir ihr staatsbürgerlichen Rückhalt geben. Sobald wir unsere zivilgesellschaftliche Mitverantwortung vernachlässigen, wird das System anfällig für Deformationen. Populisten haben dann ein ebenso leichtes Spiel wie Lobbyisten, denen Freiräume nur wichtig sind, solange sie noch mehr von ihren Interessen darin unterbringen können.   

 

Der russische Schriftsteller Wiktor Jerofejew meinte kürzlich in einem Presse-Interview, der Hochmut der Liberalen habe in seiner Heimat die Demokratie diskreditiert. Der Westen habe in den Jahren nach der Öffnung zu rasch seinen Vorteil gesucht und die Reformer im Grunde nur wenig unterstützt. Für die notwendige Neubildung von Werten sei kaum etwas geschehen. Daher die Erstarrung und Rückwärtsgewandtheit als Reaktion auf eine nur oberflächliche, demokratisch nicht gefestigte Liberalisierung.

 

Offensichtlich mahnt er jene verbindenden und Verbindlichkeit schaffenden Elemente ein, die Ralf Dahrendorf einst „Ligaturen“ nannte: Institutionelle Haltegriffe, Werte-Brücken und tragende Wände des sozialen Zusammenhalts, mit denen erst gelebte Freiheit möglich wird.

 

Der vor wenigen Wochen verstorbene Sozialforscher und Politiker sorgte über Jahrzehnte für  demokratiepolitischen Sauerstoff.  Als wir Dahrendorf Anfang der Siebzigerjahre an die Wirtschaftsuniversität luden, nannte er in seinem Vortrag die zwei zentralen Anliegen jeder liberalen Gesellschaft: dem Einzelnen seine Entfaltung und Ausschöpfung individueller Potentiale zu ermöglichen. Und eine Verfassung der Freiheit zu schaffen, die immer wieder die Suche nach neuen, besseren Möglichkeiten für die Gemeinschaft zulässt und fördert. Eben die „Sozialökonomik der Maximierung individueller Lebenschancen“.

 

Wir werden in der Qualität unseres demokratischen Denkens und Handelns ordentlich zulegen müssen, wenn wir uns jene Freiheiten auf Dauer sichern wollen, um die Oppositionelle im Iran wie in Russland so mutig kämpfen.    

download