die furche - 17

Gefragt: Ein neues Finanzmarkt-Paradigma

 

Kann man die Krise auch bekämpfen, ohne dafür Steuergeld in die Hand zu nehmen? Der Verwaltungschef der russischen Provinz Noguinsk soll das versucht haben, indem er seinen Beamten rundweg verboten hat, den Begriff „Finanzkrise“ weiter zu gebrauchen.

 

Wenn diese originelle Kurzmeldung aus der vergangenen Woche keine wahre Geschichte ist, wäre sie doch gut erfunden. Und im übrigen nicht weniger plausibel als die euphorische Finanzmarktprosa, mit der manche Analysten für den raschen Wiedereinstieg in spekulative Veranlagungen werben. Fehlt doch den Beschwörungen eines neuen Börsen-Hochs bis dato jede realwirtschaftliche Rechtfertigung.  

 

Noch wirkt das Finanzsystem gegenüber den Unternehmen dysfunktional. Wesentliche Kreditleistungen können ohne staatliche Rückendeckung nicht erbracht werden. Der hohe Eigenmittelverbrauch der Banken setzt sich fort, weil zahlreiche Unternehmen entweder in die Insolvenz schlittern oder über außergerichtliche Einigungen zu Kredit-Wertberichtigungen zwingen.

 

Die jahrelang systemische Risiken ignorierenden Rating-Agenturen prognostizieren – surprise, surprise – mitten im Tiefdruckgebiet noch mehr Schlechtwetter. Für diese Rating-Verschlechterungen ist seitens der Banken zusätzliches Eigenkapital vorzuhalten – selbst dann, wenn letztlich keine Kreditausfälle zu erwarten wären. Das ursprünglich mit dem Ziel einer Festigung des Bankensystems geschaffene Regelwerk von Basel II wirkt damit paradoxerweise krisenverstärkend. Dass sich die Banken an extrem schwankungsanfälligen Bilanzierungsregeln orientieren, verschärft die Lage zusätzlich.  

 

Der Streit um die Frage, ob die daraus resultierende Kredit-Zurückhaltung der Banken die Entschleunigung der Wirtschaftsdynamik verstärkt oder ob erst die Rezession dazu geführt hat, dass Kredite vorsichtiger vergeben werden, ist dann nicht mehr als eine müßige Henne-Ei-Spiegelfechterei.   

 

Woher soll Orientierung kommen? Carl Friedrich von Weizsäcker stellte einmal anlässlich einer Tagung in Castelgandolfo fest, dass die jeweils geltende, „normale“ Wissenschaft meist über längere Zeit mit einem Paradigma arbeitet, dessen letzte Rechtfertigung sie selbst nicht kennt und nicht befragt: denn sein Kredit beruht auf seinem Erfolg.

 

Erst mit wachsenden Schwierigkeiten des geltenden Paradigmas und damit einhergehender Krisenerfahrung bereiteten sich wissenschaftliche Revolutionen vor. In solchen Situationen helfe dann nicht mehr beschönigender Optimismus, sondern nur das Nachdenken darüber, durch welche neue Theorie die Selbstwidersprüche der alten aufgehoben werden können.

 

Weil das einseitig kapitalmarktorientierte Finanzsystem den Kredit des Erfolges wohl tatsächlich verspielt hat, brauchen wir nicht weniger als einen solch grundlegenden Paradigmenwechsel. Es geht – sehr verkürzt  – wieder um mehr reale Wertschöpfung und weniger virtuelle Geldschöpfung. Die Arbeit daran ist zweifellos anspruchsvoller als der Versuch, die Krise durch Redeverbote oder rosige Analystenprosa zu vertreiben.     

 

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