die furche - 11

Schutz vor Krisenlärm

 

Weil ich – wie viele von uns - schon nichts mehr hören will von der Finanzmarktkrise, war ich fest entschlossen, in dieser Kolumne davon zu schweigen, statt den Katastrophen-Geräuschpegel durch eine – und wäre sie noch so zutreffend gewesen – zusätzliche Analyse der Ursachen oder gar Prognose des weiteren Verlaufes der Krise weiter anzuheben.

 

Bei einer Bahnfahrt nach Salzburg bot sich das ideale Ablenkungsthema an, führte sie doch an der europäischen Kulturhauptstadt vorbei, in der, um unsere akustische Lebenswelt erträglich zu machen, das Projekt „Hörstadt“ läuft. Gefordert werden in dieser beherzten Initiative gegen „Zwangsbeschallung“ beispielsweise beschallungsfreie Zonen ohne Hintergrundmusik. Die so genannte „Linzer Charta“ postuliert aber nicht nur akustische Vielfalt und Klangreichtum, sondern auch ein Recht auf Mitgestaltung des akustischen Raumes, der „allen gehört“.

 

Schon heute darf man gespannt sein, wie das sein wird, wenn der Gesetzgeber, vielleicht sogar der europäische, dieses Anliegen aufgreift und, in Anerkennung der schädlichen Wirkungen des Passiv-Hörens, eine Rahmengesetzgebung entwickelt. Diese würde es den Parlamenten der Mitgliedsstaaten freistellen, nationale Regelwerke zu entwerfen, die zuerst in öffentlichen Räumen, dann aber vor allem in der Gastronomie sicherstellen, dass beschallte von unbeschallten Bereichen getrennt werden.

 

In föderalistisch organisierten EU-Staaten wäre wohl davon auszugehen, dass die Landtage eigene, auf die Hörtoleranzen der jeweiligen Bevölkerung abgestimmte Sonderregelungen entwickeln würden. Denn so wenig – wie erst kürzlich Ärztevertreter zur Rechtfertigung länderspezifischer Tarifunterschiede bei den Krankenkassen argumentierten – etwa das Lungenleiden eines Schärdingers mit dem eines Wieners zu vergleichen ist, so wenig trifft das auf Hörgewohnheiten zu. Urbane Menschen, die sich Erlebnis-Shopping ohne Beschallung nicht vorstellen können, ticken nun einmal anders als ihre Mitmenschen am flachen – oder auch hochalpin gefalteten – Land, denen frühmorgendliche Kirchenglocken schmerzhaft abgehen würden.

 

Ich frage mich, wie wir es schaffen, das verdienstvolle Lärmbekämpfungs-Ziel der Linzer Charta auf  jene unerhörte visuelle Reizüberflutung zu übertragen, der wir sozusagen ungeschaut ausgesetzt sind, immer plakativer, immer dichter, bis hin zu den Großplakaten auf Kathedralen.

 

Das erinnert mich vollkommen unbeabsichtigt daran, wie bestürzt ich war, als sich eines morgens am (mittlerweile Gott sei Dank wieder werbefreien) Stephansdom in Riesenlettern die zweifellos ironisch gedachte und doch höchst taktlose Zeile fand: „Kein Haus ist für die Ewigkeit gebaut“. Es ging dabei um Wohnbaukredite. Das war aber lange bevor leichtfertig vergebene Wohnbaudarlehen zum Auslöser der Subprime-Krise wurden.

 

Ohne diese mich unvermittelt überfallende Erinnerung hätte ich den Versuch, diesmal wirklich nichts über die Finanzmarktkrise zu schreiben, als gelungen bezeichnen dürfen. Freilich: Knapp gefehlt ist auch daneben!

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