Gedanken für den Tag

Über Wertschöpfung und Wirtschaftsordnung

 

Texte zur Morgensendung in OE1, Woche vom 24. bis 29. Oktober 2005

I. Jenseits von Angebot und Nachfrage

Zwei Diskussions-Themen des vergangenen Sommers haben mehr miteinander zu tun, als man zunächst glauben sollte: Zum einen die Frage nach der Zukunft unseres Wirtschaftssystems in der Globalisierung, zum anderen die Debatte darüber, ob die fortdauernde Schöpfung der Welt göttlichen Ursprungs ist oder Ergebnis von Evolution nach Darwinistischen Spielregeln.

„Intelligent Design“ – also so etwas wie ein „großer Entwurf“ – mag als Thema der Religionsphilosophie wenig Auswirkungen auf unser reales Leben haben. Im Bereich des Wirtschaftens hingegen könnte dieser Begriff ganz handfest für einen System-Entwurf stehen, der Effizienz mit Gerechtigkeit und Wachstum mit Nachhaltigkeit kombiniert.

Die Soziale Marktwirtschaft ist so ein intelligenter Entwurf. Ihren geistigen Schöpfern war bewusst, daß eine klare Werte-Fundierung die Voraussetzung für nachhaltige Wert-Schöpfung ist. Sie haben aus humanistischer Tradition und Glaubensüberzeugung nicht nur eine Alternative zur Planwirtschaft geschaffen, sondern auch zum gescheiterten Neo-Liberalismus der Dreißigerjahre.

Nicht zufällig heißt eines der Hauptwerke der Sozialen Marktwirtschaft „Jenseits von Angebot und Nachfrage“. Dort sind auch heute die Werte-Fundierungen eines globalisierten Wirtschaftssystems zu finden.

Kürzt man alle ideellen Zähler und Nenner aus der Gleichung vom intelligenten Design heraus, bleiben uns auch in der Wirtschaft einfache Fragen: welchen Sinn hat, was wir tun, für wen tun wir es, wem nützt es, wem schadet es. Zahlt es sich aus, auch ohne unmittelbar messbaren Nutzen einer Sache Mehr-Wert zu geben. So darwinistisch der tägliche Wettbewerb auch sein mag: wenn es uns wirklich um Wert-Schöpfung geht, brauchen wir darauf sinnvolle Antworten.

II. Faire Spielregeln für die Globalisierung

Globalisierungsängste, strittige Strategien gegen Arbeitslosigkeit und hektische Steuer-Kontroversen sind Anzeichen dafür, daß es an ordnungspolitischer Orientierung fehlt. Immer kürzer wird die Halbwertszeit der gerade noch gültigen Erklärungsmuster, die Debatte wirkt wie die gleichnamige Steuer: zusehends „flat“, flach also und mit wenig Tiefgang.

Eine Ursache mag in den extrem verdichteten Anpassungsprozessen liegen. Der Eintritt Chinas und Indiens in den Weltmarkt führt zu einer neuen internationalen Arbeitsteilung, die Revolution in der Informations- und Kommunikationstechnologie zur Verlagerung von Arbeitsplätzen auch in den industrienahen Dienstleistungen. Immer dringender wird der Wunsch nach Entschleunigung und besserer Übersichtlichkeit.

Wie könnte uns gelingen, an die Globalisierung so heranzugehen, wie das die Gründer der Sozialen Marktwirtschaft und des Europäischen Modells getan haben? Müssen wir uns wirklich mit Ländern messen, die kaum demokratiepolitische, soziale und ökologische Standards kennen, zugleich aber über unerschöpfliche Reservearmeen von Menschen verfügen, die zu absoluten Billigstlöhnen arbeitsbereit sind?

Der österreichische Ökonom Josef Schumpeter wurde einmal gefragt, ob Sozialpolitik nicht bremsend auf das Wirtschaftswachstum wirke. Er meinte darauf hin: im Gegenteil, je schneller man mit einem Auto fahren möchte, umso wirksamer müssen seine Bremssysteme sein. Ganz ähnlich ist es wohl mit den ökologischen und sozialen Spielregeln in der Globalisierung: Ohne ihre entschleunigende Wirkung besteht die Gefahr, daß wir uns ungebremst in Massencarambolagen verstricken.

Nur mit fairen internationalen Spielregeln des Welthandels, vernünftiger Besteuerung von Unternehmen, Umsatz-Besteuerung des Kapitalverkehrs und Berücksichtigung von Umweltkosten im Transport lassen sich vernünftige Mindeststandards einer „verantworteten Marktwirtschaft“ auf der Grundlage des europäischen Modells durchsetzen.

III. Wirtschaft und/oder Ethik?

Als der für seine Gedankenschärfe berühmte Publizist Karl Kraus von einem Studenten gefragt wurde, was er vom Studium der Wirtschaftsethik hielte, lautete seine ernüchternde Antwort: „Sie werden sich entscheiden müssen!“ Wirtschaft oder Ethik also? Viele finden es ganz in Ordnung, daß Wirtschaft ohne Ethik funktioniert: Wer sich in der Wirtschaft an alle Gesetze hält, ist okay, und wer sie verletzt, wird in einem funktionierenden Rechtsstaat ohnehin sanktioniert.

Die angesichts verzerrter Bilanzbilder und überhöhter Managergagen naheliegende These von der a-moralischen Wirtschaft ist aber auch bequem, weil sie den, der sie vertritt, zum Moralisten macht, der hinter allem Wirtschaften die Gewinnsucht und den ach so schnöden Mammon enttarnt.

Die Wirklichkeit lässt keine so einfachen Antworten zu. Einerseits setzt Wirtschaften im Wettbewerb Wertschöpfung frei und bringt die Energie und den Arbeitseinsatz vieler Menschen zu den besten Ergebnissen. Das kommt zum Ausdruck, wenn Pater Georg Sporschill, der Helfer der Straßenkinder in Bukarest, kürzlich erst meinte, die wahre Hilfe gegen das Elend käme seiner Beobachtung nach in den letzten Jahren von den Unternehmen, die Arbeitsplätze schaffen. Denn Kinder von Eltern mit Arbeit werden keine Straßenkinder.

Andererseits stößt man auf Schlagzeilen, die da lauten: Börse feiert Stellenabbau bei … und dann wird der Name eines stolzen Weltunternehmens genannt. Das ist nun wieder das andere Extrem, mit dem die Marktwirtschaft Gefahr lauft, unsere Zustimmung zu verlieren: Manager, die mit Spitzenabfertigungen für Flops belohnt werden, Investoren, die einen Wanderzirkus von einem lohn-günstigen Standort zum nächsten inszenieren, einseitige Orientierung an den Börsenbewertungen.

Wenn wir nicht eine Welt wollen, in der der Mensch nur mehr als Arbeitskraft und Konsument zählt, während er uns als unverwechselbare Person immer gleichgültiger wird, werden wir zu respektieren haben, daß Wirtschaft und Ethik keine Alternativen sind: Eines setzt vielmehr das andere voraus.

IV. Ein Werte-Kompaß für verantwortete Marktwirtschaft

Der Tiroler Dokumentarfilmer Hubert Sauper schildert in seinem Film „Darwin´s Nightmare“ Menschen, die ihrem Schicksal zwischen der Unterdrückung durch korrupte Regime und Billigstarbeit für Großkonzerne in einer gottverlassenen Gegend am Viktoriasee hilflos ausgeliefert sind.

Über ein anderes Extrem von Gottverlassenheit berichteten die Welt-Medien, als kürzlich Kate Moss, das Kunstgeschöpf der Modeindustrie, in Ungnade fiel, weil Fotografen festgehalten haben, was ohnehin jeder wusste, daß sie nämlich drogenabhängig ist.

Beide Extreme blenden wir aus, wenn von Wirtschaft die Rede ist. Da wird entweder idealisiert nach dem Motto „Der Markt hat immer recht“ oder es wird das Marktmodell, ohne Alternativen aufzuzeigen, schlechtgeredet, nur weil es nicht die beste aller Welten garantiert.

Die Wahrheit liegt in der Mitte. Eine verantwortete Marktwirtschaft zielt auf Wohlstand für möglichst viele, sozialen Ausgleich für die Schwächeren und einen auf Nachhaltigkeit angelegten Umgang mit der Umwelt. Wenn wir dieses europäische Modell global umsetzen wollen, brauchen wir einen erneuerten, funktionstüchtigen Werte-Kompaß.

Bekenntnisse zum Freihandel allein genügen nicht. Den Menschen in den ärmsten Ländern muß auch eine medizinische und schulische Grundversorgung gesichert werden. Der Ökonom Jeffrey Sachs, Chefberater der UNO für die Bekämpfung der Armut, hält solche Programme zu Kosten machbar, die bei 0,7 Prozent des Bruttonationalproduktes der wohlhabenden Länder liegen. Das entspricht der Größenordnung des Marshallplanes, mit dem der europäische Wiederaufbau nach dem 2.Weltkrieg unterstützt wurde.

Verantwortete Marktwirtschaft muß neben der materiellen Wertschöpfung auch immaterielle Werte stärken. Dann haben mehr Menschen die Chance, sich nicht in Darwins Nightmare zu verlieren, sondern durch Ausbildung und freie Berufswahl in einem Rechtsstaat wirtschaftlich voranzukommen und nach selbstgewählten Mustern ein erfülltes Leben zu führen.

V. Wertschätzung und Wertschöpfung

Der biblische Tanz um das Goldene Kalb hat eine seiner modernen Entsprechungen im unersättlichen Mehr der modernen Kapitalmärkte. So unbestritten wichtig sie als Quelle für Wachstums- und Risikokapital sind, so sehr drohen sie mitunter zum Selbstzweck zu werden.

Da lassen sich stolze Manager vom Motivationsmodell des Esels mit der Karotte begeistern und leben mit dem doch etwas demütigenden Menschenbild, daß sie nur mehr funktionieren, wenn sich ihr Jahresgehalt am Börsenkurs und damit am Shareholder-Value orientiert. Es ist auch selten zu ihrem Nachteil, wenn sie sich Stock-options, also begünstigte Bezugsrechte auf Aktien des Unternehmens, zuteilen lassen.

Was aber tun mit dem Interessenskonflikt, der entsteht, wenn großflächige Kündigungspläne mit auch für die persönliche Börse günstigen Kursausschlägen nach oben honoriert werden. Unterbleibt dann nicht die vielleicht aussichtsreiche Arbeit an der Sanierung eines Unternehmensbereiches? Noch sind die meisten Unternehmen langfristig orientiert und nicht so sprunghaft wie manche börsenotierte Konzerne, aber der Druck auf das Setzen übereilter Schnitte wird größer.

Unternehmen, die ihre Wertschöpfungsprozesse nicht mehr darauf ausrichten, Kundenbedürfnisse besser und am Ende ertragreicher zu erfüllen als die Konkurrenz, können leicht entgleisen. Und wer seine Mitarbeiter nur mehr über materielle Anreize führt, wird bald eine Aushöhlung der Werte-Substanz in Kauf nehmen müssen.

Der deutsche Medienmanager Thomas Middelhoff hat das einmal so auf den Punkt gebracht: „Wenn Sie nur den Shareholder-Value verfolgen, dann kreieren sie ein inhaltsleeres, zielloses, wertloses Unternehmen. Der Wert eines Unternehmens bemisst sich danach, ob es wirklich shared values (also gemeinsame Werte) gibt“. Oder, anders gesagt: Aus Wertschätzung entsteht Wertschöpfung.

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