Unternehmensfinanzierung

Die neuen Wirklichkeiten der Unternehmensfinanzierung

 

Beitrag für „Aufsichtsrat aktuell“, April 2012

Kapitalstrukturmanagement im Spannungsfeld der Banken- und Staatsschuldenkrise 

Die Finanzkrise der Jahre 2007/8 führte nicht nur im Bankensystem sondern auch in der „Realwirtschaft“ zu starken Verwerfungen. Im Sommer 2010 folgte mit dem Beginn der europäischen Staatsschuldenkrise ein zweiter Vertrauensschock. Auch wenn die Doppelkrise vorläufig gebändigt scheint, löste sie doch bei vielen Unternehmen umfangreiche, mitunter schmerzhafte Lernprozesse aus. Um sich vor den Folgen künftiger systemischer Bankenkrisen zu schützen, stärkten die Finanzverantwortlichen die Eigenkapitalbasis, erhöhten die Liquiditätsreserven und orientieren sich stärker als bisher an den Erfordernissen der Kapitalmärkte. Die Einbeziehung der neuen Wirklichkeiten der Unternehmensfinanzierung ist zu einem unverzichtbaren Teil unternehmerischer Finanzstrategien geworden.

Die aktuelle Ausgangslage

Europas Unternehmensfinanzierungs-Landschaft war seit Einführung der Gemeinschaftswährung von Konvergenz geprägt. Die Finanzierungsbedingungen in den Teilnehmerländern glichen sich zunehmend an – und mit ihnen die Investitionsvoraussetzungen. Damit ist es vorläufig vorbei. Vor allem Unternehmen in den höher verschuldeten Ländern müssen seit Beginn der europäischen Staatsschuldenkrise unabhängig von ihrer Bonität mit höheren Kreditkosten rechnen, waren doch die Refinanzierungkosten in den Ländern der - wohl fälschlich so genannten – „Peripherie“ deutlich angestiegen.

Die Anleihenmärkte geben ein differenzierteres Bild: im Durchschnitt liegen die Zinsaufschläge (Credit Spreads) von Anleihen für europäische Unternehmen guter Bonität nun schon seit mehr als zwei Jahren unter jenen der Banken. Davor galt es als Normalität, dass Unternehmensrisiken mit höheren Anleiherenditen zu bezahlen waren als Bankenrisiken.

Diese Inversionslage zwischen Unternehmens- und Bankenanleihen ist einer der Gründe für die zunehmende Dynamik auf den Märkten für Unternehmensanleihen. Ein anderer Grund liegt im nachvollziehbaren Bedürfnis von privaten wie institutionellen Anlegern, jener als „financial repression“ bezeichneten Gegebenheit zu entkommen, die ihr möglichst risikoarm veranlagtes Geldvermögen selbst bei niedrigen Inflationsraten schrumpfen lässt.

Kleineren und mittleren, traditionell an den Bankkredit gebundenen Unternehmen steht die Anleihe als Fremdfinanzierungsalternative nicht zur Verfügung. Auch sie profitieren jedoch von der historischen Niedrigzins-Situation und können so preiswert zu Krediten kommen wie seit Jahrzehnten nicht.

So sehr aber das säkulär niedrige Zinsniveau gerade in den als stabil geltenden Ländern auf der Habenseite der Unternehmensfinanzierung steht, so sehr ist es paradoxerweise doch auch Ausdruck einer krisenbedingten Sondersituation. Zumal die Mehrbelastung der Unternehmen in höher verschuldeten Staaten des Euro-Raumes zu einer weiter sinkenden Investitionsbereitschaft in den Problemstaaten führt.

Das mangelnde Vertrauen in den dauerhaften Bestand von Euroland hat eine Reihe von Teilnehmerländern aus Sicht der Kapitalmärkte in einen Zustand zurückkatapultiert, der jenem vor Einführung der Gemeinschaftswährung gleicht. Setzt sich diese Entwicklung fort, würde die Fragmentierung der Eurozone weiter vorangetrieben und zu einer echten Gefahr für den Bestand der Gemeinschaftswährung.

Im Hintergrund: ein verdrängter Konflikt der Finanzierungskulturen

Wer die aktuellen Entwicklungen verstehen will, muss den Blick zurück in jene Zeit lenken, als unmittelbar nach der Ostöffnung neben dem Ausbau des europäischen Binnenmarktes und der Schaffung einer Gemeinschaftswährung ein kaum weniger ambitioniertes Parallelprojekt in Gang gesetzt wurde: der Anschluss Europas an das internationale Kapitalmarktgeschehen.

Da allgemein die Überzeugung vorherrschte, dass der Binnenmarkt ohne die Erschließung der Finanzierungsmöglichkeiten des angloamerikanischen Raumes Stückwerk bliebe, wurden dessen kapitalmarktorientierte Spielregeln möglichst umfassend und ohne Einschränkung übernommen. Nur so vermeinte man die Herausforderungen der Globalisierung bestehen zu können. Im Rückblick betrachtet sind wohl einige der Schritte in diese Richtung zu rasch und ohne ausreichende Rücksichtnahme auf die spezifisch kontinentaleuropäischen, bankenorientierten Finanzierungstraditionen erfolgt.

Unter seinen ganz anderen geschichtlichen Voraussetzungen hatte in Europa ein ursprünglich aus großen Handelshäusern hervorgehendes Bankensystem über die Jahrhunderte fast alle Aufgaben der finanzmarkttypischen Vermittlungsleistungen zwischen Sparern/Einlegern und Kreditnehmern/Investoren übernommen. In dieser kontinentaleuropäischen Finanzierungstradition leisten Banken den Großteil der Fristen- und Risikotransformation von Sparer- und Anlegergeldern in Kredite und sonstige Ausleihungen leisten – eine Funktion, die in der kapitalmarktorientierten Finanzierungstradition der angloamerikanischen Länder überwiegend von den Anleihen– und Aktienmärkten wahrgenommen wird.

Die weit überproportionale Bedeutung des Bankensystems zeigt sich bis heute. Während nämlich die aggregierte Bilanzsumme aller Banken in den USA nur bei circa 80 Prozent des Bruttosozialproduktes liegt, macht sie in Europa per Ende 2010 bereits 350 Prozent der gesamten europäischen Wertschöpfung aus. Vor diesem Hintergrund ist die mit der europäischen Staatsschuldenkrise einhergehende Gefährdung des europäischen Bankensystems zu erklären – das ja in Wirklichkeit aus 27 einzelnen, bis vor kurzem ausschließlich national überwachten Bankenlandschaften besteht.

Obwohl nun begleitend zur Euro-Einführung alles getan wurde, um den Anschluss an die anglo-amerikanische Kapitalmarktwelt zu finden, fällt auf, dass es gerade in der kurzen Periode zwischen 2001 und 2008 zu einem weit überschießenden Wachstum der aggregierten Bilanzsumme der „Bank Europa“ kam. Eine durchaus plausible Erklärung für den überraschenden Wachstumsschub trotz Kapitalmarktöffnung findet sich im überproportionalen Ankauf synthetischer Wertpapiere durch Europas Großbanken. Diese von den Rating-Agenturen systematisch überbewerteten Verbriefungen erwiesen sich in der Subprime-Krise als die Zündschnur am Pulverfass eines bis zum Bersten bilanziell überdehnten Bankensystems.

Möglich wurde die exzessive Expansion dieses noch jungen Geschäftsfeldes vor allem, weil die ab Ende der Neunzigerjahre vorgenommene Lockerung der Eigenmittelvorschriften für Banken eine Bilanzverlängerung ohne Stärkung des bilanziellen Eigenkapitals zuließ – bei gleichzeitigem Nachweis von ausreichendem regulatorischem Eigenkapital. Die dadurch ausgelöste Kredit-Geldschöpfung wurde überdies durch zwei Sonderfaktoren verstärkt:

  • die Aufgabe der am Vorsichtsprinzip ausgerichteten Bilanzierungstradition zugunsten der Übernahme kapitalmarktorientierter Bilanzregeln und

  • die Ausrichtung der Bankenregulierung von Basel II an den hinter dem Modell des vollkommenen Finanzmarktes stehenden Risikomessungs- und Regulierungsinstrumenten.

Als ginge es bei diesen grundlegenden Veränderungen lediglich um einen technischen Übergang – wie von einem Betriebssystem zum anderen – und nicht um eine fundamentale Abweichung von einer aus guten Gründen über Jahrzehnte bewährten Finanzierungstradition Kontinentaleuropas, wurde der damit ausgelöste „Clash of Cultures“ zweier gänzlich verschiedener Finanzierungskulturen bis heute weitgehend verdrängt.

Die Undurchschaubarkeit kapitalmarktorientierter Bankbilanzen

Für den Großteil aller Unternehmen ist das Vorsichtsprinzip übergeordnetes Leitbild ordnungsgemäßer Bilanzierung gemäß UGB. Das von ihm abgeleitete Niedrigstwertprinzip und die strikte Bindung der Ertragswirksamkeit von Aufwertungen an das Realisationsprinzip sind unverzichtbare Elemente eines auf den Gläubigerschutz hin ausgerichteten Bilanzierungssystems.

Kapitalmarktorientierte Bilanzierungssysteme (IFRS / US-GAAP) dienen hingegen dem übergeordneten Ziel einer an den jeweils aktuellen Marktwerten ausgerichteten, jederzeitigen Transparenz aller Bilanzpositionen. Die Kapitaleigner (Shareholder) sollen damit über vollständige Informationen verfügen. Diese ermöglichen in einem idealtypischen Finanzmarkt rationale Entscheidungen über die Allokation von Finanzressourcen in die Unternehmen mit der jeweils höchsten Wertschöpfung.

Die diametral unterschiedlichen Zielsysteme der beiden gebräuchlichsten Bilanzierungsformen – Gläubigerorientierung versus Shareholder-Value-Orientierung – sind vom Grundsatz her nicht miteinander vereinbar. Dieser Umstand führt schon in der „Realwirtschaft“ zu beträchtlichen Problemen. So zeigt sich etwa beim Wertansatz von Unternehmensbeteiligungen, dass die an diskontierten Zukunftswerten orientierten Impairment-Tests im volatilen Marktumfeld nicht selten zu höchst anfechtbaren Ergebnissen führen. Auch bei Immobilien-Aktiengesellschaften brachte der Gewinnausweis von nicht-realisierten Marktwerten Verwerfungen mit sich, wie sie im traditionellen Bilanzierungsansatz undenkbar gewesen wären.

Dennoch ist die durch laufende Marktbewertung verursachte Zyklizität von Marktschwankungen in der Realwirtschaft einigermaßen beherrschbar. Die Verbindlichkeit „harter“ Zahlen aus der Gewinn- und Verlustrechnung lässt für die Ermittlung des operativen Gewinnes eines Unternehmens letztlich nur begrenzte Ermessensspielräume zu. Kapitalmarktorientierte Abschlüsse von börsennotierten Unternehmen haben daher in der Regel zumindest in der Erfolgsbilanz ausreichende Bodenhaftung. Unternehmen, die nicht an der Börse notieren und dennoch kapitalmarktorientiert bilanzieren, bevorzugen bei Vorliegen von Wahlmöglichkeiten ohnehin meist die vorsichtigere Bilanzierungsvariante.

Dies gilt jedoch leider nicht für die Finanzwirtschaft. Denn im Großbankensystem hat die marktwertorientierte Bilanzierung eine derartige Vielfalt von Bewertungsmöglichkeiten eröffnet, dass Bilanzen größerer Bankinstitute selbst für informierte Branchenroutiniers mit „freiem Auge“ nicht mehr seriös interpretierbar sind.1 Dennoch wird der mit dem Wechsel zur kapitalmarktorientierten Bilanzierung verbundene bilanzpolitische Paradigmenwechsel kaum reflektiert – am allerwenigsten von den Vertretern des internationalen Bankensystems selbst.

Dabei haben die kapitalmarktorientierten Bilanzierungsregeln ihren Ursprung in einer Finanzwelt, die strukturell gänzlich anders geartet war als die heutige. Sie wurden erfunden, bevor es das sich ständig ausdehnende Universum der Derivate gab, bevor strukturierte und synthetische Wertpapiere existierten, bevor unzählige Schattenbanken auf Steuerinseln entstanden und lange bevor der Hochfrequenzhandel erfunden wurde.

Es mag vor der Krise als rückständig gegolten haben, das Vorsichtsprinzip hochzuhalten. Nach den aus der Finanzkrise gewonnenen Erfahrungen aber gäbe es jeden Grund, über Korrekturen nachzudenken, mit denen sich allzu massive Prozyklizitäten und Wertverzerrungen in kapitalmarktorientierten Bankbilanzen vermeiden lassen.

Unerwünschte Nebenwirkungen der Bankenregulierung

Der eigentliche Zweck von Bankenregulierung liegt in ihrem Beitrag zur Finanzmarktstabilität. Finanzmarktstabilität wiederum ist die Voraussetzung für freie, marktwirtschaftliche Entfaltung der Realwirtschaft und letztlich für die Aufrechterhaltung der Wertschöpfungs-Dynamik einer Volkswirtschaft. Die wesentlichen Institutionen, denen die Verantwortung für Finanzmarktstabilität zukommt, sind die Notenbanken und die für Bankenregulierung zuständigen Einrichtungen.

Es kann nicht anders als tragisch bezeichnet werden, dass ausgerechnet jenes Regelwerk von „Basel II“, das zur Festigung der Stabilität des Bankensystems geschaffen wurde, zu dessen Beinahe-Zusammenbruch entscheidend beigetragen hat. Der Grund liegt in der nach Rating-Stufen vorzunehmenden „Risikogewichtung“ der Ausleihungen einer Bank bei der Festlegung ihres Eigenkapital-Risikopuffers. Die auf den ersten Blick einleuchtende Idee, für vermeintlich bessere Risiken weniger Eigenkapital-Vorhaltung zu verlangen, ist in der harten Wirklichkeit der Finanzkrise an der Tatsache gescheitert, dass den an historischen Ausfallwerten orientierten Ratings keine ausreichende Prognosesicherheit hinsichtlich des künftig tatsächlich eintretenden Risikos zukommt – schon gar nicht bei den vielen Verbriefungen, für die es keine historischen Ausfallerfahrungen gab.

Das regulatorisch erforderliche Kernkapital wurde aufgrund dieser Spielregel als Prozentsatz einer um die jeweilige Risikogewichtung einzelner Asset-Klassen verkürzten Bilanzsumme gemessen. Ihr Resultat sind bis heute bei vielen internationalen Großbanken weit auseinanderklaffende Werte des Kernkapitals gegenüber dem tatsächlich als Risikopuffer verfügbaren bilanziellen Eigenkapital. Dazu kommt, dass die internen Risikomodelle, mit den Großbanken ihre Risiken „kalibrieren“, völlig uneinheitlich angewendet werden. Der Anteil der risikogewichteten Bankaktiva, die zur Ermittlung der erforderlichen Eigenmittel herangezogen werden, ist zwischen den einzelnen Institutsgruppen aber auch je nach Jurisdiktion uneinheitlich.

Ausgerechnet beim zentralen Instrument der Risikosteuerung hat es der Regulator bis heute nicht geschafft, für einheitliche Rechenstandards zu sorgen. So kommt es, dass der Anteil der risikogewichteten Aktiva seit 2007 weltweit von 65 Prozent auf nur mehr 35 Prozent geschrumpft ist, was die regulatorischen Kernkapitalquoten verschönert, aber an der Tatsache eines viel zu knappen „echten“ Eigenkapitals des Bankensystems wenig geändert hat.

Auch ein halbes Jahrzehnt nach Ausbruch der Finanzkrise ist die Eigenkapitaldecke der internationalen Großbanken – und hier vor allem der europäischen – noch immer extrem ausgedünnt. Der jüngste Finanzstabilitätsbericht der Deutschen Bundesbank weist für die größten deutschen Banken einen Verschuldungsgrad von 32 aus, was einem bilanziellen Eigenkapital von kaum mehr als 3 Prozent entspricht. Bei den Sparkassen, Genossenschaftsbanken und klassischen Universalbanken hingegen fällt dieser Kennwert für die Hebelung („Leverage“) des bilanziellen Eigenkapitals durch Fremdmittel deutlich solider aus.

Österreichs Banken haben die extreme Bilanzdehnung ihrer internationalen Mitbewerber im Wesentlichen vermieden. Mit Ausnahme der von ihrem Geschäftsmodell her darauf ausgerichteten Kommunalkredit vermieden sie allzu hohe Engagement in verbrieften Wertpapieren mit – wie sich danach zeigte – bei weitem zu hoch angesetzten Bonitätsraten. Schon das starke Engagement auf den benachbarten Ostmärkten sorgte dafür, dass es ausreichend attraktive Investitionsmöglichkeiten in der Realwirtschaft gab.

Es kommt allerdings nicht selten vor, dass auch Bankinstitute mit einer gesunden Bilanzstruktur ein scheinbar geringeres Kernkapital ausweisen als jene internationalen Großbanken, die dank Risikogewichtung bei geringerem bilanziellen Eigenkapital auf optisch höhere Werte kommen. Es ist einigermaßen rätselhaft, warum die Notenbanken an dieser unglückseligen Bemessungsregel für Eigenkapital festhalten, obwohl sie ein entscheidender, prozyklischer Treiber der Finanzkrise war.

Führt die Konsolidierung des Bankensystems zur Kreditklemme?

Statt diese regulatorische Falle zu beseitigen, zwingt das neue Regelwerk von „Basel III“ mit seinen über 600 Textseiten die Finanzinstitute dazu, immer mehr Personalressourcen für die Administration komplexer Risiko-Modelle einzusetzen. Das Geschäft mit den und für die Unternehmenskunden wird dadurch laufend erschwert, obwohl längst als erwiesen gilt, dass es nicht die „Realwirtschaft“ war, von der die Finanzkrise ihren Ausgang nahm, sondern eine durch zügellose Bilanzdehnung entgleiste Finanzwirtschaft. Die laufende Regulierungswelle verursacht so Zusatzkosten und Erschwernisse im Firmenkundengeschäft, ohne das eigentliche Kernproblem der Branche zu lösen.

Der britische Notenbanker Andrew Haldane warnt vor den Folgen des detail-versessenen „Turmbaues zu Basel“, wie er die immer unübersichtlichere Regelflut nennt. Komplexität ließe sich nicht durch Komplexität bekämpfen, sondern nur mit viel einfacheren Regeln in den Griff bekommen. Statt finanzmathematisch ausgeklügelter aber letztlich aussichtloser Versuche, zukünftige Risiken scheingenau zu berechnen, sollten wenige Grundsätze genügen. Der wichtigste davon: ein ausreichend solider Sockel an „echtem“ bilanziellem Eigenkapital – eben das, was jede Bank dieser Welt auch von Unternehmen erwartet, wenn sie Kredite benötigen.

Auch wenn die Reform der Bankenregulierung nicht an der Risikogewichtung rüttelt, verbessert sie doch die Qualität des anrechenbaren Eigenkapitals und führt zu höheren Mindestprozentsätzen an regulatorischem Kernkapital. Schon deshalb wird sich das mit der Finanzkrise einsetzende „Deleveraging“, also der sukzessive Abbau der Bilanzsummen bei gleichzeitigem Aufbau von „echtem“ Eigenkapital, auch über die kommenden Jahre fortsetzen.

Damit dieser unvermeidbare Bilanz-Rückbau nicht zu einer Kreditverknappung für die Realwirtschaft führt, wäre es vordringlich, die falsch gesetzten Risikogewichte bei der Eigenmittelberechnung zugunsten der Unternehmen zu korrigieren. Das ginge vor allem zu Lasten der Verbriefungen, die bisher regulatorisch bevorzugt waren. Die Unternehmenskunden hingegen würden von einem solchen Wandel profitieren. Unter der oft beschworenen Kreditklemme haben sie Dank der gerade im deutschsprachigen Raum stark ausgeprägten dezentralen Bankensektoren (Sparkassen, Genossenschaftsbanken) und solider Universalbanken schon bisher nur in Einzelfällen zu leiden.

Erst in einer späteren Phase wären dann auch bei den derzeit noch eine Null-Gewichtung genießenden Staatsanleihen an Korrekturen zu denken. Am Ende der Entwicklung könnte nach einer längeren Übergangsperiode ein Bankensystem stehen, das eine Untergrenze von rund zehn Prozent an „echtem“ bilanziellen Eigenkapital aufweist und damit der Struktur gleicht, wie sie sich vor der zu weit getriebenen Deregulierung des Bankensystems zu Mitte der Neunzigerjahre über Jahrzehnte bewährt hat.

England und Schweden fordern vor dem Hintergrund dieser notwendigen Konsolidierung die Möglichkeit, bei Einführung von Basel III im kommenden Jahr ihren Banken auch höhere Eigenkapital-Quoten vorschreiben zu können. Das europäische Parlament lehnt diesen Wunsch bis zuletzt mit der Begründung ab, man wolle die mit höheren Sicherheitsreserven in den Bankbilanzen verbundenen Wettbewerbsvorteile einzelner Länder vermeiden – obwohl nichts wünschenswerter wäre als ein Wettbewerb um höhere Eigenmittelstandards und damit mehr Systemsicherheit. Die Schweiz hat in diesem Punkt längst autonom gehandelt und ihren Großbanken Eigenmittelquoten auferlegt, die etwa beim Doppelten der künftigen Basel-Erfordernisse liegen.

Die von den Interessensvertretungen der Großbanken oft beschworene Kreditklemme als Folge zu hoher Eigenmittelanforderungen mag kurzfristig gelten – langfristig muss es aber auch im Interesse gerade der österreichischen Institute liegen, nicht wegen notorischer Unterkapitalisierung systemrelevanter Mitbewerber von einer nächsten Finanzkrise betroffen zu werden. Neues Eigenkapital mitten in der Krise aufzutreiben mag schwierig sein – das wissen Unternehmen nur zu gut. Deshalb jedoch gleich die Notwendigkeit besserer Kapitalisierung zu leugnen und die Öffentlichkeit mit der Androhung von Kreditklemmen von ihrer berechtigten Forderung abzubringen, ist ein allzu durchsichtiger Versuch internationaler Großbanken, ihre liebgewonnenen spekulativen Geschäftsfelder ohne Einschränkung beibehalten zu können.

Der häufige Vorwurf an die USA, die Basel-Regeln zu unserem vermeintlichen Nachteil nicht einführen zu wollen, zielt vor diesem Hintergrund ins Leere. Es waren nämlich überraschenderweise die Europäer und ihre Großbanken, die sich von den Basel-Regeln zu einer noch exponierteren Bilanzpolitik als ihre amerikanischen Mitbewerber hinreißen ließen.

Die überfällige Konsolidierung des Bankensystems in Europa ist im ureigensten Interesse der Unternehmerwirtschaft. Sie wird umso eher gelingen, je konsequenter die von den G20 unmittelbar nach Ausbruch der Finanzkrise formulierten Reformziele umgesetzt werden: Transparenz bei derivaten Finanzprodukten und Kreditgarantien (CDS), Einbeziehung der sogenannten Schattenbanken in die Finanzmarkt-Überwachung, Lösung der mit dem Hochfrequenz-Handel verbundenen Probleme. Es geht um nicht weniger, als dafür zu sorgen, dass das Finanzsystem seine volkswirtschaftlichen Kernaufgaben zugunsten unternehmerischer Wertschöpfung wieder dauerhaft erfüllen kann.

Die Stärkung der Kapitalmärkte hängt am Schicksal des Euro

Am Beginn der Weichenstellung von einer fast ausschließlich bankorientierten zu einer kapitalmarktorientierten Finanzierungskultur stand das erst mit der Schaffung der Gemeinschaftswährung möglich gewordene Ziel eines leistungsfähigen, gesamteuropäischen Kapitalmarktes. Er soll ergänzend zu den Bankinstrumenten Möglichkeiten der Außenfinanzierung über Aktien- und Anleihenmärkte bieten, die mit jenen der globalen Mitbewerber vergleichbar sind.

Die europäische Staatsschuldenkrise hat auf bestem Weg zu diesem Ziel schwere Rückschläge verursacht. Nach dem Griechenlandschock kam es zu einer massiven Vertrauenskrise, als nicht mehr davon auszugehen war, dass Mitgliedsländer der Eurozone jedenfalls sichere Schuldner sind. Der sofort einsetzende Ansteckungseffekt führte ab dem Sommer 2010 zu wieder stark differenzierenden Risikokosten für Anleihen von höher verschuldeten Staaten. Nachdem es fast ein Jahrzehnt lang weitgehend angenäherte Refinanzierungskosten gegeben hatte, wurden nun auch die Kosten der Mittelbeschaffung von Banken der betroffenen Staaten höher.

Die Unternehmensfinanzierung in diesen Ländern wurde damit strukturell teurer als in den als stabiler angesehen Staaten Europas. Es liegt auf der Hand, dass dieser Zustand auf Dauer zu einer Verschärfung der ohnehin schon sehr ausgeprägten Unterschiede in der Wettbewerbsfähigkeit einzelner Euroländer führen müsste.

Zugleich setzte eine Kapitalflucht aus jenen Euro-Staaten ein, die man für den Fall des Staatsbankrotts, nachfolgender politischer Unruhen sowie eines möglichen Austritts aus der EU – und damit aus dem Euro – für abwertungsgefährdet hielt. Die plötzlich eintretende Fragmentierung hatte zur Folge, dass die enge Verflechtung der europäischen Bankenmärkte mit einem Mal in Frage stand.

Europas Banken sind überdies in wesentlich höherem Umfang als ihre amerikanischen Mitbewerber in der Finanzierung der Staaten engagiert. Als einige dieser Euro-Staaten in Refinanzierungs-Schwierigkeiten gerieten, galt plötzlich als „spekulativ“, was bis dorthin zu Recht als Fortschritt in der europäischen Finanzmarkt-Integration gefeiert worden war: die mit einem mal nicht mehr als sicher geltende Finanzierung von Euro-Mitgliedsländern.

Kurz bevor die fortschreitende Fragmentierung in einen ungeordneten Zerfall und damit den Anfang vom Ende des Euro-Projekts überzugehen drohte, gelang es EZB-Präsident Draghi mit seinem im Herbst 2012 in Abstimmung mit den EU-Spitzen umgesetzten Maßnahmenpaket, die Situation zu entspannen. Das Versprechen, unbegrenzte Anleihenkäufe gefährdeter Staaten zu tätigen, sofern sie die strengen Konsolidierungsauflagen des Europäischen Stabilisierungsmechanismus (ESM) erfüllen, beruhigte die Gläubiger und stoppte – hoffentlich nicht nur vorläufig – die innereuropäischen Zentrifugalkräfte.

Die Stärkung der europäischen Kapitalmärkte hängt somit unmittelbar davon ab, ob das Euro-Projekt wieder dauerhaft auf gesunde Beine gestellt werden kann. Auf diesen schicksalhaften Zusammenhang weist der Internationale Währungsfonds in seinem jüngsten Stabilitätsbericht mit nicht zu überbietender Deutlichkeit hin: nur Fortschritte im europäischen Integrations-Szenario ermöglichen neues Wachstum und verhindern einen scharfen Konjunktureinbruch mit erneuter Zuspitzung der Banken- und Staatsschuldenkrise.

Kapitalstrukturmanagement zwischen Banken und Kapitalmärkten

Österreichs Banken waren zum großen Teil in und nach der Finanzkrise in der Lage ihre Unternehmenskunden mit ausreichenden Kreditmitteln zu versorgen. Wohl gab es einige Sonderfälle unmittelbar nach der Lehman-Pleite, in denen aufgrund der massiven Liquiditätsknappheit zugesagte Linien gekürzt wurden, die nicht auch vertraglich fixiert waren. Einzelne Institute zogen sich in Folge der Krise aus dem Geschäft mit der Unternehmensfinanzierung ganz zurück. Im Gesamten aber wirkten die Banken durchaus stabilisierend.

Allerdings stellen die durch Basel II erzwungene Trennung von Kundenbetreuung und Risikomanagement ebenso wie die weiter zunehmende Bedeutung von bankinternen Ratings für die Berechnung der Risikokosten und der Eigenkapitalerfordernisse in vielen Fällen eine Belastung der Kundenbeziehung dar. Die Unternehmen registrieren darüber hinaus, dass sich das Kreditgeschäft immer stärker formalisiert und die entsprechenden Vertragswerke komplexer und einengender werden.

„Covenants“ aller Art, beruhend auf Vorschaurechnungen und Simulationen von künftigen Geschäftsverläufen, setzen über die Laufzeit eines Kredits einen Bedingungs-Rahmen, der im Fall von Abweichungen der späteren Entwicklung nicht nur zu Änderungen des Konditionengefüges sondern auch Nachforderungen an Sicherheiten oder gar der Verpfändung von Geschäftsanteilen führen kann. Vor diesem Hintergrund versuchen die Unternehmen, ihre Kreditmöglichkeiten nicht auszureizen, sondern sich konservativer als früher zu verschulden. Größtmögliche Unabhängigkeit auch in Krisenzeiten wird zum übergeordneten Grundsatz. Ihm wird auch durch strukturell höhere Liquiditätsreserven Rechnung getragen. Auch der Verschuldungsgrad der Unternehmen liegt auf historisch niedrigen Niveaus.

Zugleich ertasten die Unternehmen schrittweise jene Möglichkeiten, die von den Kapitalmärkten angeboten werden. Dazu zählen vor allem Unternehmensanleihen, die zwar nach wie vor größeren Unternehmen vorbehalten sind, aber durchaus schon im Bereich von „Mittelstandsbonds“ angeboten werden. Über Anleihefonds und die von der aktuellen Niedrigzinsphase geprägten Veranlagungsbedürfnisse institutioneller Investoren drängen neue Anlegergruppen in diesen mittelständischen Anleihenmarkt, die eine weitere Belebung erwarten lassen.

Das in der Bundesrepublik Deutschland gerade von mittelständischen Unternehmen vermehrt in Anspruch genommene Instrument des Schuldscheindarlehens hat bedauerlicherweise in Österreich keine Entsprechung. Seine Einführung auch hierzulande würde die Langfrist-Finanzierungsmöglichkeiten für Unternehmen erweitern, die Veranlagungsalternativen für Versicherungen anreichern und zugleich das Bankensystem entlasten.

Banken, die sich mit ihrem Geschäftsmodell zur Unternehmensfinanzierung bekennen, sind durch ihre langjährige Kenntnis eines Unternehmens auch in Krisenphasen ein berechenbarer Partner. Kapitalmarktinstrumente stehen hingegen ergänzend zur Verfügung, wo etwa durch Anleihen größere und längerfristige, endfällige Fremdfinanzierungsvolumina aufzubringen sind. Es wäre allerdings ein Fehler, auf eine dauerhafte Substitution von langfristigen (Haupt-)Bankenbeziehungen durch Kapitalmarktinstrumente zu setzen, ist doch das Refinanzierungsrisiko einer Anleihe wegen der Unsicherheit hinsichtlich der Bedingungen der Kapitalmärkte zum Zeitpunkt der Fälligkeit grundsätzlich unbestimmbar.

Zur Kunst der Optimierung der Kapitalstruktur gehört das professionelle Management dauerhafter, auf gegenseitigem Vertrauen und offener Information beruhender Bankbeziehungen und ihrer bestmöglichen Kombination mit den selektiven Möglichkeiten der Kapitalmärkte. Damit dies gelingt, müssen die in Folge der Finanzmarkt- und Staatsschuldenkrise entstandenen Rahmenbedingungen als neue Wirklichkeiten der Unternehmensfinanzierung stärker als früher laufend beobachtet und in den Entscheidungsprozess eingebunden werden.

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