Kommt die Finanzmarkt-Wende?

Finanzmarkt-Wende oder “business as usual”?

 

Beitrag zum Roland-Berger-Symposium 2011

Mitten in die nach oben korrigierten Wachstumsprognosen der Weltwirtschaft platzierte Weltbank-Präsident Zoellick beim Frühjahrstreffen von Währungsfonds und Weltbank seine gezielte Warnung: „Wir sind nur einen Schock entfernt von einer ausgewachsenen Krise“.

Die globale Momentaufnahme könnte kontrastreicher nicht sein: einerseits verstärkt die wiederbelebte Konjunktur den Eindruck, das Schlimmste sei endlich überstanden. Andererseits zeigen Eurokrise und Dollar-Dämmerung, wie dünn das Eis ist, auf dem die Unternehmen der Realwirtschaft ihre spektakuläre Kür tanzen. Erwartungen eines von vielen angekündigten, säkulären Gigatrends langfristigen Wachstums werden durch ein dysfunktionales Finanzsystem, Rohstoff- und Energiekrisen eingetrübt. Irrlichternde Preisschwankungen an Währungs- und Wertpapiermärkten unterstreichen die unterschwellige Verunsicherung.

„Es ist etwas eingetreten, womit kein Experte kalkuliert, aber jeder gerechnet hat“. Dieser von FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher auf Fukushima gemünzte Satz ist jederzeit auf das aktuelle Stadium der Finanzkrise übertragbar. Niemand rechnet mit dem Unkalkulierbaren.

In vielen Gesprächen, die ich mit Industriellen zur aktuellen Finanzkrise führe, kommen wir zu einem gemeinsamen Schluss: der entscheidende Beitrag, den Banken zur Nachhaltigkeit leisten können, wäre das Bekenntnis zu einem weniger spekulativen und daher krisenresistenteren Finanzsystem, das wieder in erster Linie der Realwirtschaft dient.

Im Gegensatz dazu stehen jedoch die Argumente der internationalen Großbanken. Sie zeigen wenig Interesse an einer wirklich zukunftssicheren Finanzarchitektur, die nicht mehr auf implizite Garantieversprechen der öffentlichen Haushalte angewiesen ist. Geht es etwa um die unbestreitbar notwendige Aufstockung der Eigenkapitalbasis der Banken, genügt der Hinweis auf eine mögliche Verteuerung und Verknappung von Krediten – und schon geben die Interessensvertretungen der Unternehmen jeden konzeptionellen Widerstand gegen das viel zu früh wiedergekehrte „business as usual“ auf.

Viel zu rasch ist man bereit, die extrem hohen (Folge-)Kosten des Finanzkrisen-Schocks zu verdrängen. Dabei ist wohl allen bewusst, dass ein nächstes Finanzdesaster ähnlichen Ausmaßes wie nach der Lehman-Pleite schlicht nicht mehr leistbar wäre. Das Löschwasser aus den Budgets ist verbraucht, die Bereitschaft der Bürger zu weiteren Hilfeleistungen erschöpft. Die Gründe, eine massive Systemkorrektur anzustreben, sind deshalb heute so zwingend wie 2008.

Die Short-Story der Krise lässt sich in einem Absatz zusammenfassen: Fehlerhafte Regulative und trügerische Rating-Signale führten zur Aushöhlung der Eigenkapitalbasis der Banken. Am Ende, kurz vor dem Beinahe-Absturz der globalen Finanzwirtschaft im September 2008, lag der durchschnittliche Fremdmittel-Hebel (Leverage) großer internationaler Banken bei 35, was im Umkehrschluss einer „echten“ Eigenmittelquote von unter drei Prozent entspricht. Prozyklisch wirkende Bilanzierungs- und Basel II-Vorschriften bewirkten überdies, dass die Banken ohne jeden Risikopuffer in die Krise fuhren. Uferlose Kreditgeldschöpfung ohne Deckung durch reale Wertschöpfung ließ das System entgleisen.

Und doch werden bis heute keine adäquaten Schritte zur grundsätzlichen Korrektur dieser konkret benennbaren Ursachen gezogen. Bei allem Respekt vor erhöhten Eigenmittelquoten im reformierten Basel-Regulativ und begrüßenswerten Schritten in Richtung Internationalisierung der Finanzmarktaufsicht: von einer echten Finanzmarkt-Wende sind wir noch weit entfernt.

Dass die Folgekosten der Krise in den Staatshaushalten gerade in jenen Ländern am höchsten ausfallen, in denen eine überzogene Finanzmarkt-Liberalisierung zu der weitesten Entfernung des Bankensystems von der Realwirtschaft führte, ist kein Zufall. In Europa war es im Schnitt der Euro-Länder ein Anstieg des Schuldenstandes um ein Drittel, in den USA sogar um die Hälfte. Entsprechend groß ist die dämpfende Wirkung auf das künftige Wachstum der transatlantischen Wirtschaftsachse.

Es muss uns doch zu denken geben, dass gerade jene BRIC-Staaten, die sich nicht an der uferlosen Deregulierung des Finanzsystems beteiligt hatten, von den Schäden verschont blieben und nun gestärkt, ohne den Ballast überbordender Defizite, in die nächste Wachstumsphase gehen. Für sie gilt das angloamerikanische Banken-Modell seit 2008 wohl zu Recht nicht mehr als Vorbild.

An der systematischen Rückführung des inflationär ausgeuferten Geldsystems auf Masse, die wieder im Einklang mit der realen Leistungskraft stehen, führt kein Weg vorbei. Denn die Bankensteuerung entlang der Maximierung von Eigenkapitalrenditen auf Basis immer dünnerer Eigenmittelquoten konnte nur vorübergehend – und nur unter Ausklammerung der volkswirtschaftlichen Folgeschäden systemischer Risiken – erfolgreich sein.

Unzweifelhaft ist das eine unangenehme Nachricht für jene Geschäftsfelder, die auf spekulative Finanzmarktprodukte fokussiert waren und sind. Erst recht, wenn als unabdingbarer Teil einer grundlegenden Reform auch die Durchleuchtung jenes ausufernden Geflechtes an „Schattenbanken“ angegangen wird, die allein in den USA in Summe mehr als das 1,3-fache des offiziellen Bankensystems ausmachen.

Für die führenden österreichischen Banken jedoch, die ihre Geschäftsmodelle zum überwiegenden Teil am klassischen Modell gesunder Regional- und Kommerzbanken ausgerichtet haben, brächte eine Finanzmarktreform, die überhöhten Leverage und unkontrollierte Kreditgeldschöpfung verhindert, keinerlei Nachteile.

Im Gegenteil: Wer ohne übertriebene Hebelung durch Fremdmittel beständig in die jahrelang als „fantasielos“ geltenden Geschäftsfelder der Finanzierung von Unternehmen und Haushalten investiert hat, der sollte mit der Unternehmerwirtschaft das Interesse an einem internationalen Finanzsystem teilen, das Banken als Dienstleister der Realwirtschaft und nicht als unberechenbare Produzenten systemischer Schocks definiert.

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