Geldschöpfung: Dichtung und Wahrheit

Goethe, die EZB und das Geld

 

Vortragsmanuskript, November 201

Zunächst: was hat Johann Wolfgang von Goethe mit der EZB zu tun? Und wie kommt das Geld ins Spiel? Nun, Frankfurt ist bekanntlich die Geburtsstadt Goethes. Er wurde dort als Sohn eines wohlhabenden Juristen und Privatiers im August 1749 geboren – im heutigen Goethehaus am Hirschgraben. Bis zu seinem 26. Lebensjahr lebte er mit Ausnahme der Studienzeit in Leipzig und Straßburg in seiner Heimatstadt. In diesen jungen Jahren begründete er mit dem Götz von Berlichingen literarisch die „Sturm und Drang“-Zeit. Innerhalb von nur vier Wochen schrieb er 1774 die „Leiden des jungen Werther“ nieder, ein unglaublicher erfolgreicher Bestseller, in dem er eigenes Erleben verarbeitete. Auch sein „Prometheus“ entstand in diesen frühen Jahren.

Nach Auflösung seiner Verlobung mit der Bankierstochter Lili Schönemann – zu einer Heirat wollte er sich noch nicht entschließen – folgte Goethe dem Ruf des um acht Jahre jüngeren Herzogs Karl-August nach Weimar. In der schönen Hauptstadt des kulturell und politisch hoch ambitionierten Herzogtums Sachsen-Weimar-Eisenach mit ihren etwa 6000 Einwohnern lebte der Dichterfürst – mit Unterbrechung durch die Römische Reise – bis zu seinem Tod im März 1832.

Goethes Jus-Studium, zu dem ihn sein Vater gedrängt hatte, erwies sich als durchaus nützlich, befähigte es ihn doch, sein Leben lang höchste öffentliche Aufgaben wahrzunehmen. Mit einigem Erfolg sanierte er als Finanzminister den Staatshaushalt des Herzogtums. Er war an der Nationalökonomie und am Finanzwesen ebenso interessiert wie an dem, was wir heute die „Realwirtschaft“ nennen, vom agrarischen und Bergbau bis hin zur damals gerade aufkommenden Industrie. Vor allem aber – und das ist für unser Thema wichtig – war Goethe Zeitzeuge der Entstehung einer modernen Geldwirtschaft.

Zu seinen Lebzeiten, noch lange vor Bildung eines deutschen Nationalstaates 1871 durch Bismarck, gab es in Frankfurt noch keine deutsche Notenbank. Und der Gedanke an die Existenz einer Europäischen Zentralbank mit Sitz in Frankfurt hätte nicht einmal in die kühnsten Utopien Eingang gefunden.

Von Mitte September bis Ende dieses Jahres ist nun im Goethehaus die Ausstellung „Goethe und das Geld“ zu sehen. Es ist ein eindrückliches Panorama jener frühindustriellen Zeit, in der ein faustischer Bund zwischen Mensch, Technik und Geld geschlossen wurde. Ziel dieses Bundes, der uns bis heute in seinen Bann schlägt, ist die Verwirklichung der innerweltlichen Utopie von Wohlstand für Alle.

Mephistopheles, Jens Weidmann und das deutsche Inflationstrauma

Parallel dazu zeigt die Deutsche Bundesbank eine Sonderausstellung unter dem Titel „Goethe.Auf.Geld“. Zu besichtigen sind die unterschiedlichsten Motive Goethes und seiner Werke auf Münzen und Banknoten, vom 19. Jahrhundert bis heute, darunter Notgeldscheine aus der Inflationsperiode der 1920-er Jahre. Einige davon greifen auf Goethes dichterische Beschäftigung mit der Schöpfung von Papiergeld in „Faust II“ zurück. In seinem Vorwort zum Ausstellungskatalog erinnert Jens Weidmann, Präsident der Deutschen Bundesbank, am Beispiel dieser Not-Geldscheine mit ihren Milliarden- und Billionen-Nominalwerten eindrücklich an die Bedeutung von Geldwertstabilität.

Vor dem Hintergrund des deutschen Inflationstraumas vertritt Weidmann bekanntlich eine höchst kritische Position gegenüber der aktuellen Politik der EZB, die seit fast genau einem Jahr in der Verantwortung von Präsident Mario Draghi steht. In seiner Gegnerschaft zum unlimitierten – wenn auch an strenge Bedingungen gebundenen – Ankauf von Staatsanleihen nimmt er auch in seinen öffentlichen Stellungnahmen ausdrücklich auf Goethe´s Faust Bezug. In seiner Rede zur Ausstellungseröffnung heißt es wörtlich: „In Faust II ist der Staat zunächst in der Lage, durch Schaffung von Papiergeld einen wirtschaftlichen Aufschwung herbeizuführen und Staatsschulden zurückzuzahlen. Bald aber wird daraus Inflation und das Geldsystem entgleist durch rapide Entwertung.“ Deshalb sei die absolute Unabhängigkeit einer Notenbank so zentral, deshalb habe sie sich der direkten Finanzierung von Staatsschulden zu enthalten.

Diese Rede erregte beträchtliches internationales Aufsehen, hatte doch Weidmann im Gouverneursrat der EZB wenige Stunden davor als einziger Notenbanker gegen Draghis Strategie gestimmt. Am Tag danach schaffte es ein Abbild des Mephistopheles sogar in die Financial Times. Die Bildunterschrift lautete: „Mephistopheles: persuaded the emperor to print paper money“. Der kritische Kommentator äußerte den Verdacht, der Chef der Bundesbank schüre durch seine unsachgemäße Analogie zu Faust deutsche Ressentiments, nachdem er auf Ebene der Sachdiskussion gegen seine Notenbankkollegen verloren hatte.

Geldwirtschaft in Frankfurt: Die frühen Jahre

Goethe lernte die zunehmende Bedeutung der Geldwirtschaft in seiner Vaterstadt Frankfurt kennen. Am diesem wichtigen Marktplatz wurde früher als in anderen Städten der Tausch- und Geldwert der Dinge wichtiger als ihr bloßer Gebrauchswert. Er schrieb dieser frühindustriellen Zeit der wirtschaftlichen Umwälzungen die Eigenschaft „velociferisch“ zu – eine Wortschöpfung, in der die Geschwindigkeit (velocitas) einen Teufelspakt mit Luzifer (Mephistopheles) eingeht. Kaufmännische Tüchtigkeit und Unternehmertum drängten die feudale Wirtschaftsordnung mit ihrer Bindung an Grund und Boden in den Hintergrund. Eine durchaus vielversprechende, mobile „Leistungsgesellschaft“ nahm ihren Anfang.

Der Schweizer Ökonom Hans Christoph Binswanger hat über die Spiegelung dieser Zeitphänomene im Faust II ein ganzes Buch und einen höchst aufschlussreichen Essay für den Ausstellungskatalog geschrieben. Binswanger verweist auf die drei Säulen der frühen Moderne: die Institutionalisierung des aus römisch-rechtlicher Zeit stammenden Eigentumsbegriffes, die neuen Techniken der Nutzung mechanischer Energie (das „Maschinenwesen“) und die Papiergeldschöpfung.

Goethe erkannte deren Möglichkeiten und Gefahren. Die Entwertung der „Assignaten“, einer Papier-Währung, die nach der französischen Revolution eine nur kurze Blüte hatte, ließ ihn skeptisch sein gegenüber ungezügeltem Gelddruck. Eine rationale Notenbankstrategie war damals noch nicht erfunden, obwohl man die direkte Bindung an Edelmetall schon hinter sich gelassen hatte.

Geldschöpfung und Alchemie

In der Figur des Faust verdichtet sich das Ringen um die Entscheidung zwischen dem innerweltlichem Schein-Paradies unlimitierter Geldversprechen und erdgebundener Ratio. Die Theatergestalt hatte Johann Georg Faust zum historischen Vorbild, einen Wunderheiler, Wahrsager und Alchemisten, der von 1480 bis 1541 in Süddeutschland lebte. Er soll bei der Herstellung von künstlichem Gold umgekommen sein.

In ersten Akt von Faust II wird die Schöpfung von Papiergeld zur modernen Alchemie. Würdenträger schildern dem Kaiser die Geldnot des Hofes. Mephistopheles stellt als Narr verkleidet eine Lösung in Aussicht. Der Kaiser herrscht ihn mit den Worten an: „Es fehlt an Geld, nun gut, so schaff´ es denn“. Auf Mephistopheles Rat versieht daraufhin der Kaiser einen papierenen Zettel mit seinem Namenszug und macht ihn damit zu Papiergeld. Hofbeamte vervielfältigen die Geldscheine. Der Kanzler am Kaiserhof stellt die Banknoten (damals „Zettel“ genannt), mit den Worten vor: „Zu wissen sei es jedem ders begehrt: Der Zettel hier ist tausend Kronen wert!“

Zum Erstaunen nicht zuletzt des Kaisers akzeptierten Kaufleute, Beamte, Schankwirte und Dirnen das papierene Geld als Zahlungsmittel für ihre Waren und Dienste. Nur allzu bereitwillig folgen sie der listigen Argumentation des Mephistopheles, derzufolge es mit Gold und anderen, im Boden vergrabenen Schätzen besichert sei.

Der Fluch, aber auch Segen des neu erfundenen „Zeichengeldes“  besteht darin, dass es ständig neue Wertschöpfung erzwingt, denn es bezieht ja seine Werthaltigkeit aus zukünftigen Werten in Form noch nicht gehobener Schätze. Nicht anders begründet sich die Berechtigung heutiger (Papier-)Geldschulden, ob von Privaten, Unternehmen oder dem Staat: das Vertrauen in ihre Rückzahlbarkeit beruht auf künftigen Erträgen, auf dem „Going concern“ nicht nur der einzelnen Wirtschaftsunternehmen sondern auch des Wirtschaftssystems als Ganzem. Ein Systembruch, wie wir ihn zuletzt in der Finanzkrise seit 2008 erleben, ist dabei weder vorgesehen noch (in der Sprache der Kapitalmärkte:) „eingepreist“.

Als Zahlungsmittel dienten zu Goethes Zeit vor allem Münzen mit hohem Gold- und Silbergehalt, deren Nominalwert ungefähr ihrem Materialwert entsprach. Das Recht zur Münzprägung lag beim Landesherren. Die Erfahrungen mit Papiergeld als einem Zahlungsmittel – das anders als zum Beispiel ein Wechsel beliebig an Dritte übertragbar ist, keine Laufzeit hat und keine Zinsen abwirft, – waren zu Zeiten Goethes noch sehr begrenzt.

Goethes Jugendfreund, der Bankier Friedrich von Metzler, versuchte zwar 1790 in Frankfurt am Main eine „Zettelbank“ zu gründen, die Banknoten in Umlauf bringen sollte, jedoch versagte ihm der Magistrat die Erlaubnis. England hatte das Problem schon 1694 durch Gründung der Bank of England gelöst, der vom Staat das Privileg gewährt wurde, Banknoten ausgeben zu dürfen, die nicht voll in Gold gedeckt waren. Für dieses Privileg musste die Bank of England dem Staat die von ihm gewünschten Kredite gewähren.

Papiergeld und reale Wertschöpfung

Jedenfalls professionalisierte sich in dieser Zeit der anbrechenden Industrialisierung und des internationalen Warenaustausches das Bankwesen, das zuvor meist nur ein Nebengeschäft der Kaufleute gewesen war. Neue, unbare Finanzinstrumente – wie eben der Wechsel – setzten sich durch. Der Prozess der Entmaterialisierung und Abstraktion der Zahlungsmittel war nicht mehr aufzuhalten. Die Bank of England wurde zum Vorbild der später auf der ganzen Welt gegründeten Notenbanken und damit zum Startpunkt des heutigen Weltwährungsystems, das vollständig auf Papier- und Buchgeld gründet.

Der vorläufig letzte Versuch, Papiergeld in Gold oder anderes Edelmetall umtauschbar zu halten, war das Währungssystem von Bretton-Woods, in dem sich die Vereinigten Staaten verpflichteten, von ausländischen Zentralbanken eingereichte Dollar-Banknoten in Gold umzutauschen, und zwar zu einem fixierten Umtauschkurs von 35 US-Doller je Feinunze. 1971 sah sich der damalige Präsident Richard Nixon gezwungen, dieses Umtauschversprechen aufzukündigen und auf ein System freier Wechselkurse umzusteigen. Seither sind die meisten Währungen „Fiat“-Währungen: Geld wird durch staatliche Vorschriften zum Zahlungsmittel erklärt und die ausgebende Institution – heutzutage die Zentralbank – hat keine Verpflichtung mehr, die umlaufenden Banknoten und Münzen oder gar das aus Buchungszeilen bestehende Buchgeld in Gold, Silber oder andere Wertgegenstände einzutauschen. („Fiat“ – es werde Geld).

Damit gewinnt das Vertrauen in die Übereinstimmung von Geldschöpfung und realer Wertschöpfung entscheidend an Bedeutung. Denn Geld wird in der Praxis nur dann akzeptiert, wenn die Bürgerinnen und Bürger auf die dauerhafte Nutzbarkeit und Wertbeständigkeit des Geldes vertrauen. Daher ist es das vorrangige Ziel der „Währungshüter“ – der Zentralbanken – die Menge des geschaffenen Geldes so zu steuern, dass der an der Entwicklung eines Verbraucherpreisindex gemessene Geldwert stabil bleibt.

Die ganz andere Inflation

Noch nicht gelöst ist damit allerdings das Problem einer Inflationierung von Vermögenswerten, wie wir es seit dem Auftreten der aktuellen Finanzkrise erleben. Sehr kurz und untechnisch gesprochen: in den Jahren vor dem Ausbruch dieser Krise wurden dem Geschäftsbankensystem durch fehlgeleitete Regulierung überproportionale Möglichkeiten gegeben, Geldschöpfung zu betreiben. Die Banken dünnten ihre Eigenkapitaldecke aus, dehnten ihre Bilanzen und investierten in neu geschaffene Arten von Wertpapieren – etwa jene in Anleihen verbrieften Immobilien-Kreditforderungen schlechter Schuldner, die von den Rating viel zu hoch eingestuft wurden und direkt in die sogenannten „Subprime-Krise“ führten.

Heute wissen wir, dass sich der Abbau der aufgetürmten Schuldverpflichtungen und ungedeckten Forderungen über mehrere Jahre erstrecken muss, soll das Gesamtsystem nicht durch zu abrupten Geldentzug zusammenbrechen. Man nennt diesen notwendigen Vorgang „Deleveraging“, also ein sukzessives Reduzieren des Bilanzvolumens im Bankensystem zugunsten wieder höherer Eigenkapitalpolster. Der Weg zur Solidität wird wohl nicht weniger Zeit in Anspruch nehmen, als der durch überzogene Kreditgeldschöpfung Aufbau des fragilen Systems gedauert hat.

Erst in der vergangenen Woche hat der Stabilitätsbericht der Baseler Bank für Internationalen Zahlungsausgleich gezeigt, dass etwa die Deutsche Bank nur 2,5Prozent an bilanziellem Eigenkapital aufzuweisen hat. Sie würde damit im Fall einer nächsten systemischen Krise zu den anfälligsten, als „too big too fail“ anzusehenden internationalen Großbanken gehören.

Die Labilität des internationalen Großbankensystems ist auch einer der entscheidenden Gründe für die Notwendigkeit, die Staatsschuldenkrise der USA und Europas schrittweise und nicht abrupt zu lösen. Die amerikanische Sorge ist bekannt: die Verschuldung übersteigt bereits die Höhe des Sozialprodukts, die Netto-Neuverschuldung liegt bei etwa 10 Prozent davon. Aber die USA verfügen zugleich über eine Notenbank, der man zutraut, dass sie jederzeit den Markt für amerikanische Schuldverschreibungen flüssig hält. Sie tut das nicht zuletzt durch direkten Ankauf von US-Staatsanleihen und ist längst größter Gläubiger der amerikanischen Regierung.

Europäische Staatsschuldenkrise: Eine zu früh gestellte Frage

Komplizierter ist die Sachlage in Europa. Die europäische Zentralbank bestimmt zwar die gemeinsame Geldpolitik der 17 Euro-Mitgliedsländer, sie hat aber keinen Einfluss auf die Gestaltung der jeweiligen nationalen Budgets und damit auf die Sicherstellung der Rückzahlbarkeit von Euro-Forderungen. Die bis 2007 trotz einiger Ausnahmen weitgehend spielregelkonform (gemäß den Maastricht-Kriterien) agierenden Staatshaushalte Europas wurden durch die hohen Folgekosten der Finanzkrise schockartig mit neuen Schulden und erhöhten Zinskosten belastet. Mit einem Mal sah sich Europa zur Beantwortung einer Frage gezwungen, von der die Architekten der Gemeinschaftswährung gehofft hatten, dass sie sich eines Tages von selbst beantworten würde: ob nämlich die Bereitschaft zur Schaffung eines nicht nur geldpolitisch sondern auch fiskalpolitisch vereinten Europa besteht.

Die unterschiedliche Wettbewerbsfähigkeit der Euro-Länder wird zum offenen Problem. Seit an der Jahreswende 2009/10 das Griechenland-Thema virulent wurde, tauchte darüberhinaus das Gespenst eines Staatsbankrotts eines Euro-Mitgliedslandes auf. Es dauerte sehr lange, bis die Teilnehmerländer darüber Einigkeit erzielten, dass man sich einen solchen Staatsbankrott aus Gründen des massiv gefährdeten Vertrauens in den Euro nicht leisten will.

Auf dem Weg zum mühsam errungenen Fiskalpakt und zu der zuletzt eingeschlagenen pragmatischen Linie der EZB kaufte man sich Zeit durch die Schaffung von Sondertöpfen wie dem EFSF oder dem ESM. Länder, die das Vertrauen der Kapitalmärkte vorübergehend verloren haben, sollen sich aus ihnen zwischenzeitlich finanzieren können. Auch sollen damit die Zinskosten wieder so angeglichen werden, dass die Bedienbarkeit der Staatsschulden glaubhaft wird und damit der langfristige Zusammenhalt des Euro-Gebietes möglich bleibt.

Marktwirtschaft und Aufklärung

Ich komme abschließend noch einmal auf Goethe und das geistige Umfeld zurück, in dem er die Segnungen und Gefahren der modernen Geldwirtschaft beschrieben und literarisch in bis heute unerreichter Form verewigt hat.

Goethe war Zeitgenosse des großen Moralphilosophen und Ökonomen Adam Smith (1723 – 1790), dem wir das Denkmodell der modernen Nationalökonomie verdanken. Smith entwarf jenes emanzipatorische, die paternalistischen Fesseln sprengende, aus der Feudalwirtschaft herausführende Konzept, dem gemäß die Anstrengung vieler Einzelner, auch wenn sie zunächst nur zum eigenen Vorteil geschieht, durch die gesteigerte Wertschöpfung letztlich allen zugute kommt. Eine liberalisierte, arbeitsteilige Wirtschaft entwickelt sich auf diese Weise wie mit unsichtbarer Hand in Richtung „Wohlstand für Alle“, wie es im Titel des berühmten Leitwerks Ludwig Erhards als dem Begründer der „Sozialen Marktwirtschaft“ zweihundert Jahre später so schön heißt.

Eine Verengung auf den ausschließlich am engen wirtschaftlichen Interesse orientierten „homo oeconomicus“ lag nicht in der Absicht von Adam Smith. Wenn es nach ihm geht, bleibt der übergeordnete Gemeinwohl-Bezug des Wirtschaftssystems immer erhalten, wenn auch auf indirekte Weise. Dass er heute vielfach verloren zu gehen scheint, ist die Folge einer ordnungspolitischen Entgleisung, die ursächlich mit der Finanzkrise zu tun hat.

Hans Christoph Binswanger weist darauf hin, dass das neue Wirtschaftsmodell der Aufklärung vor allem deshalb so wirkungsmächtig werden konnte, weil die im vorangehenden Merkantilismus und Feudalismus vorherrschende scholastische Ökonomie von einer an der Philosophie der Stoa ausgerichteten Weltanschauung abgelöst wurde. Die Philosophie der Stoa war über 500 Jahre lang, von etwa 200 vor Christus bis etwa 300 nach Christus, die Weltanschauung der gebildeten römischen Bürger gewesen. Sie relativierte die Bedeutung von Gut und Böse durch den Glauben an eine Welt- oder All-Vernunft und brachte eine Ordnungsidee hervor, die für alle Orte und alle Zeiten gelten konnte und damit auch die Expansionsbestrebungen des damaligen römischen Imperiums legitimierten.

Adam Smith belebte diese Vorstellungen mit seinem universalistischen Ansatz neu und verknüpfte es mit seinem Bild von der „unsichtbaren Hand“. Demgemäß ist die Welt so beschaffen, dass sie sich trotz allfälliger Unvernunft der Menschen in vernünftigen Bahnen entwickelt, wenn man sich nur von den dem Menschen gemäßen Natur-, das heißt Vernunftgesetzen leiten lässt. Auf neue Weise erklärt sich so die Antwort des Mephistopheles auf die Frage des Faust nach des „Pudels Kern“ im ersten Teil des Dramas: „Ich bin ein Teil von jener Kraft, die stets das Böse will, und stets das Gute schafft“.

Quellen:

Hans Christoph Binswanger, Beitrag im Katalog zur Ausstellung „Goethe und das Geld“, Frankfurt 2012

Hans Christoph Binswanger, Die Glaubensgemeinschaft der Ökonomen, München 1998/2011

Benedikt Fehr, Beitrag im Katalog zur Ausstellung „Goethe.Auf.Geld“, Frankfurt 2012

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