Gedanken für den Tag

Glaube und Vernunft - Staunen und Verstehen

 

Texte zur Morgensendung in OE1, Woche vom 4. bis 9. Jänner 2016 

Die hohen Festtage mit ihren mythologischen Erzählungen zeigen mitten in unserer nach allen Richtungen vermessenen naturwissenschaftlich-ökonomisch-technischen Lebenswelt die Grenzen unseres Wissens auf. Sie wecken unser Interesse am Schöpfungsgeschehen und den ewigen Fragen danach, warum es uns gibt und wohin wir gehen. Die jahrtausendealte, planetare Logik der Zeitmessung erinnert an unsere Einbindung in universale Gesetzmäßigkeiten. Wir glauben sie fast alle zu kennen – und doch bleibt ein unermesslich großer Rest des Welträtsels offen, der selbst jene, die seiner Auflösung am nächsten kommen, in ungläubiges – und am Ende nicht selten auch gläubiges – Staunen versetzt.

In diesen Tagen des Atemholens lassen sich Wissen und Weltdeutung leichter miteinander versöhnen als sonst. Wo Rationalität allein in die Sackgasse führt, öffnet der Brückenschlag zwischen Vernunft und Glauben den Weg zu konstruktiven Lösungen jenseits der reinen Rechenhaftigkeit. Wir haben die Chance, diese Erfahrung ins neue Jahr mitzunehmen.

4. Jänner 2016

VERNUNFT UND GLAUBE

„Augenblicke ohne Zeit“ nannte einst Leonardo da Vinci jenen kostbaren Zustand, den wir in den Tagen zwischen den Jahren erleben dürfen. So als könnten wir die Lebensuhr neu einstellen, beginnen wir wieder bei Eins zu zählen und sehen die Chance, uns neu zu erfinden. Der sonst so dicht getaktete Kalender lässt unverhofft Raum für Nachdenklichkeit und auch für die Frage, wie ich es mit der Religion halte.

Der deutsche Schriftsteller Martin Walser hat in einem berühmt gewordenen Vierzeiler seine zweifelnde, sehr zeitgenössische Antwort darauf so formuliert: „Ich bin an den Sonntag gebunden / Wie an eine Melodie / Ich habe keine andere gefunden / Ich glaube nicht, aber ich knie“.

Vielleicht war die Melodie, an die er dabei gedacht hat, das Sanctus der vertrauten Deutschen Messe von Franz Schubert mit der so einfachen wie genialen Textzeile „Er der nie begonnen, er der immer war“. Sie stammt vom 1849 verstorbenen Wiener Physikprofessor und Dichter Johann Philipp Neumann. Seine Referenz an den Schöpfer der Welt atmet den Geist der Aufklärung, der Versöhnung von Glaube und Vernunft.

An Gott zu glauben heißt, dass nicht er unsere Idee ist, sondern wir seine Idee, meint der Religionsphilosoph Robert Spämann. Ein schöner Gedanke – jedoch verblasst der Glaube an einen persönlichen Gott, der sich in die Geschichte des Einzelnen und der Welt im Ganzen einmischt, immer mehr. Dass aber die Welt das Werk eines schöpferischen Geistes sei, das ist für Viele auch ohne konfessionelle Bindung eine glaubwürdige Antwort auf die Frage nach dem Geheimnis unserer Existenz.

Wissen und transzendente Weltdeutung lassen sich in diesen Tagen des Neubeginns leichter miteinander versöhnen als sonst. Ich will diese Erfahrung in das noch junge Jahr mitnehmen.

5. Jänner 2016

ALLES NUR ZUFALL?

In der Zeit zwischen Weihnachten und dem Dreikönigsfest wächst für viele Menschen das Interesse am Schöpfungsgeschehen. Wir würden gerne wissen, was vor dem Urknall war oder ob es im grenzenlosen Weltall auch anderes menschliches Leben gibt. Die aus Salzburg stammende Astrophysikerin Lisa Kaltenegger hat dazu jüngst ein faszinierendes Buch geschrieben. Sein Titel: „Sind wir allein im Universum?“ Die Antwort lässt sie bewusst offen.

Dabei liegt selbst Kepler 22b, einer der nächstgelegenen, Voraussetzungen für Leben bietenden Planeten, ganze 600 Lichtjahre von uns entfernt. Die Wahrscheinlichkeit, dass es jemals zu konkreten Begegnungen mit extraterrestrischer Verwandtschaft kommen könnte, geht wohl schon deshalb auf ewig gegen Null.

Wir leben auf einem kleinen Planeten einer mittelgroßen Sonne unter unzähligen anderen Sonnen einer Galaxie unter unzähligen Galaxien in einem sich ständig ausdehnenden Kosmos. War es wirklich nur eine Kaskade von glücklichen Zufällen, die ausgerechnet unseren Planeten Erde bewohnbar gemacht und uns hervorgebracht hat? Kann aus der Organisation des Universums oder dem Prinzip der Evolution auf einen Schöpfer geschlossen werden – oder beweisen sie seine Nicht-Existenz? Wenn es den Schöpfergott gibt, müsste es ihm ein Vergnügen bereiten, uns mit diesem unauflösbaren Welträtsel zu beschäftigen!

Die Suche nach anderem Leben im Universum erscheint mir manchmal wie ein Pfeifen im Wald, mit dem wir die Angst vor der mit unserer Einzigartigkeit einhergehenden Verantwortung zu vertreiben versuchen. Denn wenn wirklich nur uns die Erde anvertraut ist, müssten wir uns noch viel mehr, als wir das bisher tun, um ihre Bewohnbarkeit kümmern. Ob wir es uns einigermaßen paradiesisch einrichten oder uns gegenseitig das Leben zur Hölle machen: es liegt allein an uns.

7. Jänner 2016

KUNST UND ERKENNTNIS

Eine London-Reise führte mich in der Vorweihnachtszeit in das englische Nationalmuseum „Tate Britain“. In einem etwas abseits gelegenen, zum Klein-Kino umfunktionierten Ausstellungsraum stieß ich auf ein Werk des Konzeptkünstlers Mark Wallinger. „Threshold to the Kingdom“ nennt der 1959 geborene Turner-Preisträger sein elfminütiges Video über Szenen in der Ankunftshalle des Flughafens Heathrow.

Die „Handlung“ ist denkbar einfach: Durch eine automatische Doppeltür schreitend erreichen die aus allen Himmelsrichtungen Ankommenden ihr Ziel. In Zeitlupe scheinbar schwebend bilden sie unterschiedliche, meist beziehungslose Formationen, sich vereinzelnd, unsicher Anschluss suchend, manchmal am Ende ihrer Reise von Anderen endlich in die Arme genommen. Ein Einreise-Beamter hinter seinem Pult registriert die Ankünfte teilnahmslos.

Ob es sich bei den Übertritten der Ankommenden in das „Kingdom“ bloß um das Vereinigte Königreich handelt oder gar um so etwas wie das „Himmelreich“, lässt der Künstler offen. Er bezeichnet derartige Interpretationen jedenfalls als zulässig, ja sogar erwünscht. Die Sphärenklänge des „Miserere Mei, Deus“ von Gregorio Allegri – allerschönste geistliche Musik der Hochrenaissance – machen aus den in einer Endlosschleife wiederholten Szenen erst recht eine Metapher für die Suche nach den letzten Zielen langer Lebensreisen.

Das inspirierende Video vom Ankommen erinnert daran, dass die Auseinandersetzung mit Kunst und Religion auf der Suche nach neuer Erkenntnis weiterhelfen kann – gerade weil wir als Menschen unser Wissen eben nicht nur aus Informationen schöpfen. Nicht selten ermöglicht der Brückenschlag zu höheren Sphären konstruktive Lösungen jenseits der reinen Rechenhaftigkeit.

 

8. Jänner 2016

NACH DER ENTFERNUNG DER RELIGION

Während der Feiertage erinnerte ich mich an eine eigentümliche Festveranstaltung, die ich vor einigen Monaten in Holland miterlebt habe. Zum Abschluss eines Kongresses waren alle Mitwirkenden zu einem Dinner in der spätmittelalterlichen Kleinstadt Leiden geladen. Gleich zu Beginn des Abends wurden wir in einen prachtvollen spätgotischen Kirchenbau geführt und nahmen zunächst an, vor dem Abendessen wäre eine Dombesichtigung geplant. Zu unserer Überraschung empfing uns dort jedoch die Feierkulisse eines aufwändig geplanten Events.

Entlang des Mittelschiffes erstreckte sich die Festtafel, zu den Füssen der prächtigen Säulen prangten Blumengestecke vom Feinsten. Das großzügige Arrangement in der, wie ich später erfuhr, schon vor einigen Jahren entweihten Kirche stimmte nicht nur mich mehr nachdenklich als feierlich. Einem Menetekel gleich musste ich unwillkürlich an die Tischgesellschaft des Jedermann vor dem Salzburger Dom denken.

Nun lässt die demographische Entwicklung ebenso wie die stetig abnehmende Zahl an Kirchenbesuchern erwarten, dass auch bei uns immer mehr ehemalige Sakralräume neuen Nutzungen zugeführt werden oder eben verfallen müssten. Eines Tages aber würde sich bei Fortschreiten dieser Entwicklung eine Frage stellen, die einst der deutsch-jüdische Philosoph Ernst Bloch, Autor einer Trilogie zum „Prinzip Hoffnung“, kritisch an den Atheismus gerichtet hat: wie gehen wir mit dem Hohlraum um, mit der Leere, die nach vollständiger Entfernung der Religion zurückbliebe.

Werden wir es schaffen, auch ohne die Anwesenheit des Transzendentalen zwischen Gut und Böse zu unterscheiden und eine allgemein verbindliche Werteordnung zu begründen – oder führt eine metaphysik-freie Ethik ohne höheren Bezug in die Irre?

 

9. Jänner 2016

STAUNEN ÜBER NATURGESETZE

Oft hat es den Anschein, als hätten wir das Staunen verlernt. Ausnahmen von dieser Regel sind Naturereignisse, wie etwa die partielle Sonnenfinsternis im März des vergangenen Jahres. Dass wir trotz laufender Expansion des Universums den Zeitpunkt aller Sonnenfinsternisse der kommenden Jahrtausende auf die Minute genau vorausberechnen können, ringt mir jedenfalls staunende Bewunderung ab – vor der Wissenschaft wie vor der Schöpfung.

Gewissermaßen zur Ausnüchterung denke ich an Heinrich Heine. Er ruft jenem Fräulein, das gerührt seufzend der untergehenden Sonne nachblickt, in einem berühmten Gedicht ironisch zu: „Sein Sie munter, das ist ein altes Stück: hier vorne geht sie unter und kehret von hinten zurück.“ Da hat er natürlich Recht. Die wunderbarsten Schöpfungsereignisse stellen sich einfach dar, und das Erstaunliche ist: wir können sie uns zum allergrößten Teil sogar erklären.

Das macht sie aber nicht weniger wunderbar, auch wenn die Protagonisten eines modisch gewordenen Trivial-Atheismus mitunter das Gegenteil propagieren. Mit dem aus dem Zusammenhang gerissenen Satz „Wer nichts weiß, muss alles glauben“ von Marie von Ebner-Eschenbach führen sie einen höchst entbehrlichen Feldzug gegen metaphysisches Denken und Empfinden. Dabei liegt doch die Zeit der Unvereinbarkeit naturwissenschaftlicher Weltsichten mit christlicher Verkündigung längst hinter uns.

Sir Isaac Newton formulierte einst den Kontrast zwischen unserem Erkenntnisvermögen und unserer Unberechenbarkeit so: „Ich kann die Bewegungen der Himmelskörper berechnen, aber nicht die Verrücktheit der Menschen.“ Deshalb müssen wir uns wohl mit uns selbst auseinandersetzen, wenn wir noch mehr wissen wollen. Möglicherweise, so meine ich, führt uns gerade der Brückenschlag zwischen Vernunft und Glauben auf den richtigen Lösungspfad.l

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