die furche - 276

Europa? Vielleicht beim nächsten Mal

Als gehörten wir nicht dazu: Europa war in diesem Wahlkampf eine Leerstelle. In Wahrheit kann es aber ohne gemeinsame Europa-Strategie keine tragfähige Koalition geben.

„Overnewsed but underinformed“: mit diesem in den Achtzigerjahren vom amerikanischen Medienphilosophen Neil Postman geprägten, paradoxen Wortspiel lässt sich der Zustand, in den ich mich durch den aktuellen Wahlkampf versetzt finde, trefflich beschreiben. Man könnte ihn auch „Überforderung durch Unterforderung“ nennen.

Der Grund ist rasch erklärt: die noch nie gekannte Überfülle an Vorwahlsendungen führte zwar zu höheren Einschaltquoten, eine nennenswerte Anhebung des sachpolitischen Gehalts bliebe jedoch aus. Die vermeintlich innovativen, zum zeitknappen „Duell“ zugespitzten Sendeformate ließen einfach keine vertiefte Auseinandersetzung zu. Entsprechend holzschnittartig fielen die Antworten der aus den „Elefantenrunden“ ohnehin an Kummer gewöhnten Spitzenkandidaten aus. In den nachfolgenden „Analysen“ durch routinierte Hofpolitologen und journalistische Ringrichter ging es meist auch nicht um Inhalte, sondern lediglich um die Vergabe von Haltungsnoten an die Kontrahenten.

Insgesamt verstärken derartige Sendekonzepte den Eindruck, Schauspielerei wäre im politischen Geschäft stets wichtiger als die Sache. Wo jedoch gegenseitige persönliche Auslassungen überbelichtet und Untergriffe als Pointen belobigt werden, bleiben die eigentlich wichtigen Themen zwangsläufig auf der Strecke. Kommen sie dann doch zur Sprache, geht das regelmäßig mit der Moderatoren-Bitte um eine möglichst kurze Antwort einher. Warum dann nicht gleich Twittern, statt sich gegenseitig, an Stehpulte geklammert, aushalten müssen?

Am deutlichsten wurde das inhaltliche Defizit der Vorwahlturniere bei der absoluten Leerstelle Europa: als gehörten wir nicht zur Europäischen Union, klammerten die Befragungen der Parteispitzen einfach alles aus, was die künftige Regierung schon in wenigen Wochen, nach Amtsantritt der neuen Kommission unter Frau Von der Leyen, intensiv beschäftigen wird.

Damit blieb einerseits dem Kanzlerkandidaten die zweifellos spannende Frage erspart, ob er sich vorstellen kann, mit einer Partei zu koalieren, die sich im Europaparlament mit Salvini, Le Pen und der AfD verbündet hat. Andererseits wäre die künftige Zuständigkeit von Kommissar Johannes Hahn für den EU-Haushalt Anlass für die Frage gewesen, wie hoch der künftige Beitrag Österreichs zum neuen Finanzrahmen angesetzt werden soll. Bekanntlich müssen ja die ausfallenden Beiträge Englands ersetzt und neue Projekte angegangen werden. Die Aussage des Interims-Finanzministers Müller, eine kleinere EU habe mit einem kleineren Budget auszukommen, wird da nicht der Weisheit letzter Schluss sein. Wie stehen die Parteiverantwortlichen dazu? Wir wissen es nicht.

Es hätte uns nicht überfordert, der Tatsache ins Auge zu sehen, dass wir als Teil Europas – von der Diskussion um „Einzelfälle“ abgesehen – auf allen größeren, zukunftsbezogenen Themenfeldern nur dann zu konstruktiven Lösungen kommen, wenn wir die europäischen Handlungsspielräume mit einbeziehen. Aber vielleicht beim nächsten Mal.  

26. September 2019

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