die furche - 274

Sehnsucht nach einer Klimawende

Wie unbescheiden: Wünsche nach einer Wende des innenpolitischen Klimas und einer Mindestsicherung der Qualität des politischen Handelns.

Ich sehne mich nach einer Klimawende. Nein, nicht nach der, die die Gletscher schmelzen lässt, sondern nach einer grundlegenden Wende des innenpolitischen Klimas. Drei Monate nach Ibiza und ganze fünf Wochen vor der Nationalratswahl wünsche ich mich einfach raus aus dem innenpolitischen Dauertief, aus den permanenten Unwettern und den Geröllmassen, die sie hinterlassen. All diese Zumutungen rauben uns kostbare Zeit und verdunkeln den Blick auf künftige Möglichkeiten.

Außerdem hoffe ich auf eine längst überfällige Mindestsicherung – nicht im sozialpolitischen Sinn, sondern als eine Mindestsicherung der Qualität des politischen Handelns. Und zwar zuallererst in charakterlicher Hinsicht. Personen, die sich diesbezüglich augenscheinlich diskreditiert haben, dürften am politischen Parkett für absehbare Zeit schlicht keine Rolle mehr spielen. Parteien, die sie dennoch ins Rennen schicken, nehmen sich damit aus künftigen Koalitionsgesprächen. Nur so hätte das Ibiza-Gewitter seinen wohl wichtigsten, reinigenden Zweck erfüllt.

Um auch eine Sicherung der inhaltlichen Mindest-Qualität zu gewährleisten, bräuchte es zuallererst mehr Offenheit und Pragmatismus in Sachfragen, die ja immer noch den größten Teil des politischen Geschäfts ausmachen. Zentrale Voraussetzung dafür wäre das Bemühen um Allparteilichkeit im Denken und Handeln. Denn Parteien sind zwar demokratiepolitisch bewährte Vehikel der Bündelung von Meinungen, sozialer Ambitionen und Welt-Anschauungen. Sie dürfen sich aber keinesfalls überheben und aus der Ausübung von Regierungsmacht das Recht auf Parteilichkeit ableiten. Faktenreich, evidenzbasiert, angereichert mit Erfahrungswissen und im Bewusstsein, dass zweitbeste anstelle unerreichbarer perfekter Lösungen auch nicht zu verachten sind: mit diesem Zugang stünde einer deutlich gesteigerten Professionalität nichts mehr im Wege.

Die Zentralverwaltung in den Ministerien stirbt nämlich im Unterschied zur Justiz ihren „leisen Tod“ (© Clemens Jabloner) nicht aus Geldmangel, sondern schlicht, weil sie zu wenig eingebunden und gefordert ist. Hypertroph besetzte Ministerbüros und weisungsbefugte Generalsekretäre demotivieren Spitzenkräfte in den Fachsektionen so sehr, dass diese vielfach nolens volens in den „Dienst nach Vorschrift“-Modus umschalten. Unter solchen Voraussetzungen kann eine Verwaltungsreform, die den Namen verdient, jedoch nicht gelingen.

Das beste Zeichen einer überfälligen innenpolitischen Klimawende wäre, wenn die Wahlkämpfenden den Mut und die Demut aufbrächten, den politischen Mitbewerbern dort, wo sie inhaltlich übereinstimmen, einfach beizupflichten. Die Bürgerinnen und Bürger sind der auf gegenseitige Abwertung zielenden Schaukämpfe nämlich müde und würden einen konstruktiveren Wettbewerb unterschiedlicher weltanschaulicher Gruppierungen wohl zu schätzen wissen. Dass diese längst nicht mehr trennscharf in Parteien abbildbar sind, könnte das Ringen um die richtigen Antworten bis zur Wahl politisch richtig spannend und reizvoll machen. 

29. August 2019

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