die furche - 272

Die EZB-Geldkurbel dreht leer

Die unerwünschten Nebenwirkungen der aktuellen Geldpolitik können nicht mehr ignoriert werden. Deshalb brauchen wir eine Grundsatzdiskussion über Ihre Ziele und Instrumente.

Am 31. Oktober endet die Amtszeit von Mario Draghi als Präsident der Europäischen Zentralbank. Während seiner gesamten acht Jahre in dieser Funktion hat er kein einziges Mal die Leitzinsen erhöht. Ganz im Gegenteil: in der vergangenen Woche setzte er eindeutige Signale in Richtung einer weiteren Senkung der Einlagezinsen von Banken unter den derzeit geltenden Satz von Minus 0,4 Prozent. Der Leitzins selbst soll – wie schon seit März 2016 – für absehbare Zeit bei Null bleiben.

Während Draghi über etwa drei Viertel seiner Amtszeit als erfolgreicher Feuerwehrkommandant im Kampf gegen die Folgen der Finanzkrise und gegen den Zerfall des Euro agierte, stößt seine lockere Geldpolitik nun schon seit geraumer Zeit auf Widerstände. Der Hauptvorwurf: Er habe den Zeitpunkt der zinspolitischen Normalisierung versäumt und sein gesamtes Arsenal an krisentauglichen Spezialinstrumenten auch dann noch eingesetzt, als die Konjunktur längst wieder angesprungen war.

Auch macht sich Frustration bei Sparern breit, die sich gezwungen sehen, auf höher riskierende Veranlagungen auszuweichen. Denn während die Notenbank ihre geldpolitischen Maßnahmen damit begründet, eine Inflationsrate von annähernd zwei Prozent erreichen zu müssen, sieht sie geflissentlich weg, wenn Vermögenspreise wie jene von Aktien in ungesunde Höhen steigen und Immobilien im urbanen Raum unerschwinglich werden. Die manifeste Inflation von Vermögenswerten wird verdrängt, weil sie im Drehbuch nicht vorgesehen ist.

Kein Wunder also, dass Aussagen von Notenbankern mittlerweile nicht mehr sakrosankt sind. Bei aller Unabhängigkeit: es gibt massiven Diskussionsbedarf zur Grundsatzfrage, wie wirksam ihr Tun noch ist und welche Ziele sie eigentlich verfolgen sollen.

Ist es etwa plausibel, dass sich die durchschnittliche Teuerung aller Eurostaaten mithilfe von Anleihekäufen und noch niedrigeren Zinsen feinsteuern lässt – obwohl das seit geraumer Zeit ganz offensichtlich nicht funktioniert? Oder könnte es sein, dass die Inflationsraten infolge technischer Neuerungen und niedrigerer Arbeitskosten in einer globalisierten Ökonomie langfristig jedenfalls niedrig bleiben werden? Und wenn ja: was spräche dann noch gegen eine maßvolle Normalisierung der Zinsen?

Es macht jedenfalls wenig Sinn, an einer Kurbel zu drehen, die längst leerdreht. Denn die unerwünschten Nebenwirkungen dieser Art von Geldpolitik sind mittlerweile zu bedeutsam, um ignoriert zu werden. Wenn es deren unausgesprochenes Nebenziel war, den Euro-Zusammenhalt sicherzustellen, wird die EZB neue Wege finden müssen, um diesen auf andere Weise abzusichern. Gelingen kann das nur in Abstimmung mit der neuen EU-Kommission. Deren Mitwirkung ist nämlich schon deshalb unabdingbar, weil das Schulden-Regelwerk von Maastricht nicht weniger überholungsbedürftig ist wie die kraftlos gewordene Geldpolitik der EZB.

Die im Staatsschulden-Krisenmanagement erprobte Frau Lagarde könnte für die Bewältigung dieses schwierigen Kraftakts geradezu eine Idealbesetzung sein. 

01. August 2019

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