die furche - 262

Kafka, Cohen und die Lügenfalle

Strafrechtlich Beschuldigte sind nicht verpflichtet, die Wahrheit zu sagen. Diese eigentlich zu ihrem Schutz geschaffene Bestimmung kann jedoch zur kafkaesken Lügenfalle werden, wenn sie die Wahrheit sagen wollen, und nichts als die Wahrheit …

Was hat Michael Cohen, der ehemalige Anwalt des US-Präsidenten, mit Josef K. zu tun? Nun, die offensichtliche Ausweglosigkeit seiner zwischen Lügen und Halbwahrheiten verfahrenen Situation erinnert fatal an die Nöte der tragischen Hauptperson aus Franz Kafkas unvollendetem Roman „Der Prozess“!

Cohen ist bereits rechtskräftig wegen diverser Vergehen verurteilt, die er sämtlich im Zuge zweifelhafter Auftragsarbeiten für den Präsidenten begangen hat. Er hat mittlerweile seine Anwaltskonzession verloren und steht kurz vor dem Antritt einer Gefängnisstrafe. Nun hat er sich entschieden, in einer mehrtägigen Anhörung vor dem amerikanischen Kongress all jene „true lies“ offenzulegen, an denen er ein Jahrzehnt lang mitgewirkt hat. Er beteuert, zu bereuen und scheint ernsthaft bemüht, mit seiner unrühmlichen Vergangenheit aufzuräumen, um wenigstens einen Rest der verlorenen Reputation zurückzugewinnen. Aber niemand will ihm glauben.

Ob es um Kontakte zum russischen Geheimdienst im Vorfeld der US-Wahlen geht oder um die Zahlung von Schweigegeld an Prostituierte: Cohen schildert präzise, an welchen präsidialen Vergehen er mitgewirkt hat. Aber nicht nur politische Gegner entwerten jede seiner Aussagen nach dem ehernen Grundsatz: Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht. Womit zugleich jeder Spielraum für ehrliche Besserung und Wahrheitsfindung verloren geht.

Elemente dieser erbarmungslosen Lügenfalle kennt auch unser Rechtssystem. Es sieht nämlich vor, dass strafrechtlich Beschuldigte nicht zu wahrheitsgemäßen Aussagen verpflichtet werden können. Diese eigentlich zu deren Schutz geschaffene Regel verkehrt sich jedoch rasch ins Gegenteil, wenn etwa ein zu Unrecht Beschuldigter an der Wahrheitsfindung mitwirken will. Er findet sich mit einem Mal in der Situation, dass sein Gegenüber ungläubig dreinschauend erkennen lässt, wie wenig Gewicht es – eben wegen der fatalen Befreiung von der Wahrheitspflicht – seiner Aussage beimisst.

Auch in den Medien fehlt es nicht selten an Sensibilität im Umgang mit beschuldigten Personen, die ernsthaft an der Aufklärung von Sachverhalten mitwirken wollen. Nicht selten verkehrt sich hier auch die Kronzeugenregelung ins Gegenteil, wird doch einem Kronzeugen von gegnerischen Anwälten meist unterstellt, er wolle sich mit seinen Aussagen ohnehin nur freikaufen.

Sollte nicht billigerweise auch strafrechtlich Beschuldigten – wie im Zivilrecht üblich – das Recht eingeräumt werden, unter Eid auszusagen und damit zur Wahrheitsfindung beizutragen? Rechtsphilosophie und Rechtspolitik wären hier gefragt, nach gangbaren Auswegen aus der kafkaesken Lügenfalle zu suchen!

P.S.: Ganz akut ist die Ausweglosigkeit der im asyl-juristischen Labyrinth alleingelassenen, etwa dreihundert gut integrierten Lehrlinge aus Flüchtlingsfamilien, die nun kurz vor der Abschiebung stehen. Unterstützen Sie bitte die Initiative „Ausbildung statt Abschiebung“, um diese in keiner Weise nachvollziehbare Aktion des Ausreise-Ministeriums verhindern zu helfen!

07. März 2019

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