die furche - 257

Von Mars- und anderen Missionen

Das vergangene Jahr war wieder voll von merk-würdigen Ereignissen, die zeigen, wozu wir Menschen fähig sind - in der positiven wie in der negativen Wortbedeutung.

Rund um die Jahreswende verwöhnten uns die Redaktionen fast aller Medien wieder mit Rückblicken auf besondere Geschehnisse des vergangenen Jahres. Neben politischen Momentaufnahmen ging es darin vor allem um merk-würdige Ereignisse, die exemplarisch aufzeigen, wozu wir Menschen fähig sind – in der positiven wie negativen Wortbedeutung.

Tatsächlich zeigt sich beim Durchblättern solcher Retrospektiven die unermessliche Spannbreite der Handlungsmöglichkeiten des homo sapiens. Am einen Ende des Spektrums eine technische Höchstleistung wie die im November makellos gelungene Landung der Raumsonde „InSight“ auf dem Planeten Mars. Über Entfernungen bis zu 400 Millionen Kilometer schafft es da ein Forschungsteam, den als geophysikalisches Observatorium fungierenden Roboter fehlerlos zu dirigieren.

Am anderen Ende des Spektrums, im denkbar extremsten Gegensatz dazu, die beinahe zeitgleiche Meldung von der Ermordung eines christlichen Missionars durch Giftpfeile der Angehörigen eines der letzten „unkontaktierten“ Völker. Der 27-jährige evangelikale Amerikaner hatte sich todesmutig den „Sentilenesen“ genähert, einer seit 50.000 Jahren auf ihrer entlegenen Insel im indischen Ozean lebenden, isolierten Urbevölkerung, die jeden Kontakt mit unserer Zivilisation verweigert. Vorsorglich hinterließ er eine schriftliche Botschaft, in der er – in Vorahnung seiner möglichen Ermordung – bereits um Verständnis für die mögliche Untat bat.

Wie paradox: Marsmissionare und „unkontaktierte“ Völker tummeln sich zugleich auf unserem Planeten Erde!

Im Nachdenken über diesen krassen Gegensatz in einer Welt, in der doch Alle von Allen Alles zu wissen glauben, wurde mir wieder einmal bewusst, wie jung die Geschichte unserer wohl noch lange unvollendeten Zivilisation ist. Vor sieben Jahrzehnten erst haben wir die Menschenrechte festgeschrieben und erst 2019 Jahre ist es her, dass nach einer unbestimmbar langen Vorgeschichte der Menschwerdung eine neue Zeitrechnung begann. Dass diese mit Christi Geburt einsetzt, ist uns vertraut, aber keineswegs überall selbstverständlich.

So stieß ich anlässlich einer USA-Reise im vergangenen Jahr in einem Museum in Santa Fe, der Hauptstadt von New Mexico, auf eine mir ganz neue Datierungsform der Exponate. Der jeweiligen Jahreszahl stellte man dort das Kürzel „C.E.“ nach. Diese Abkürzung, so war aus einer daneben stehenden Erläuterung zu erfahren, steht für „Common Era“ im Sinn von „gebräuchlicher Zeitrechnung“. Man verwendet sie, um all jenen, die nicht an die christliche Erzählung glauben, einen klinisch sauberen, neutralen Begriff für jene Zählweise anzubieten, die sich weltweit durchgesetzt hat.

Ob eine so überbedächtige Korrektheit auch Sentilenesen beeindrucken würde, werden wir wohl so bald nicht erfahren. Die politisch zuständigen indischen Behörden haben nämlich entschieden, sie weiterhin unkontaktiert zu lassen und trotz ihrer Untat nicht zu verfolgen, da man ihr Recht auf vollkommene Abgeschiedenheit weiterhin achten möchte.

10. Jänner 2019

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