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Ein Europa das schützt -
vor Steuerbetrug

Nur eine wirksame gesamteuropäische Zusammenarbeit könnte sicherstellen, dass ehrliche Steuerbürger nicht von Nadelstreif-Kriminellen über den Tisch gezogen werden.

Vor wenigen Tagen erregte eine Hausdurchsuchung im Münchner Büro von Blackrock, der weltgrößten Investment-Fondsgesellschaft, besonderes Aufsehen. Ihrem Aufsichtsrat gehört nämlich auch Rechtsanwalt Friedrich Merz an, der sich gerade aussichtsreich um die Nachfolge von Kanzlerin Angela Merkel bewirbt. Weil alle inkriminierten Vorgänge in die Zeit vor seiner Berufung in das Kontrollgremium fallen, konnte er sich rasch mediale Entlastung verschaffen. Der eigentliche Gegenstand der Untersuchung aber findet sich seither ganz oben in der öffentlichen Aufmerksamkeitsskala – und das ist schon deshalb wichtig, weil vom größten Steuer-Betrugsskandal Europas die Rede ist.

Worum es geht, lässt sich einfach erklären: Zur Vermeidung einer Doppelbesteuerung haben körperschaftssteuerpflichtige Investoren in ihrem Wohnsitzland Anspruch auf Rückerstattung der auf ausgeschüttete Dividenden fälligen Kapitalertragssteuer. Durch grenzüberschreitende Umgehungsgeschäfte mit Aktienübertragungen rund um den Zeitpunkt der Dividendenzahlung wurde nun eben diese Rückerstattung in betrügerischer Weise auch ausländischen Investoren ermöglicht. Der von den beteiligten Anwälten, Steuerberatern und Bankern irregeführte Staat zahlt in solchen Fällen doppelt, ja in manchen Fällen sogar mehrfach, obwohl er nur einmal zur Rückzahlung verpflichtet wäre. Die Bezeichnung „Cum-Ex“ oder „Cum-Cum“ bezieht sich auf zwei unterschiedliche Spielarten dieser Betrugshandlung.

Dass nun endlich Schwung in die jahrelang verschleppten Ermittlungen kommt, ist maßgeblich der investigativen Plattform „Correctiv“ zu verdanken, in der sich Recherche-Teams von 19 Medien aus zwölf Ländern zusammengeschlossen haben. Ob es jemals Chancen auf Wiedergutmachung des auf mehr als 55 Milliarden Euro geschätzten, elf Staaten betreffenden Schadens geben wird, steht allerdings in den Sternen. Österreich soll im Übrigen – ein gewisser Trost – zu den am wenigsten betroffenen Ländern zählen.

Es ist nicht neu, dass die Steuergesetzgebung von Staaten, die im harten Wettbewerb um betuchte Anleger stehen, reichlich „Gestaltungs“-Möglichkeiten bieten, die sich bei Nachsicht aller Taxen gerade noch im Rahmen des Zulässigen bewegen. Die „Rückerstattung“ fingierter Dividendensteuern sprengt jedoch alle diesbezüglichen Grenzen. Sie ist plumper Diebstahl zu Lasten der Allgemeinheit. Die Bekämpfung solcher Betrugshandlungen wird jedoch dadurch erschwert bis verunmöglicht, dass Europa steuerpolitisch immer noch rein national organisiert ist.

Wenn schon die Einführung von Steuern auf digitalen Handel und Finanztransaktionen scheitert, müsste deshalb zum Mindesten sichergestellt werden, dass ehrliche Steuerbürger nicht von Nadelstreif-Kriminellen über den Tisch gezogen werden. Die Notwendigkeit einer wirksamen, gesamteuropäischen Zusammenarbeit in Steuerfragen, die uns nachhaltig vor systematischen Betrügereien bewahrt, ist deshalb evident. Sie passt trefflich zum Motto des aktuellen EU-Vorsitzes: „Ein Europa, das schützt“.

22. November 2018

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