die furche - 194

Hinten, weit, in der Türkei

 

Nach einer so sorgenvollen wie hitzigen Diskussion im Freundeskreis über die aktuelle Problemlage und darüber, dass uns nun schon mehrmals pro Woche Ereignisse beschäftigen, die früher den Neuigkeitsbedarf eines halben Jahres gedeckt hätten, fielen mir aus aktuellem Anlass jene Sätze ein, die Goethe im ersten Teil seines „Faust“ einem biederen Bürger in den Mund legt: „Nichts Bessers weiß ich mir an Sonn- und Feiertagen, als ein Gespräch von Krieg und Kriegsgeschrei, wenn hinten, weit, in der Türkei, die Völker aufeinander schlagen. Man steht am Fenster, trinkt sein Gläschen aus und … segnet Fried’ und Friedenszeiten.“

Derartige Distanz zu beunruhigenden Ereignissen in fernen Weltgegenden ist uns in Zeiten totaler Gleichzeitigkeit und Grenzenlosigkeit globaler Information nicht mehr gegönnt. Der News-Stream reißt nicht ab, schlechte Nachrichten nehmen keine Sommerferien. Einmal richtig abzuschalten, im wörtlichen Sinn, wird zum Luxus.

Wir können nicht mehr Nicht-Wissen, was sich auf der Welt tut. Mit dieser Tatsache emotions-ökonomisch so umzugehen, dass man weder zum Ignoranten noch wahnsinnig wird, erweist sich als Teil einer ganz eigenen Lebenskunst. Bevor die Informationslast übermächtig wird, mag eine berühmte Gebetsformel Zuflucht bieten: „Gib mir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann, den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann, und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden.“

Es hilft mitunter aber auch, von klugen Menschen, die sich hauptberuflich mit den brennendsten Themenfeldern der Politik, Ökonomie, Human- und Naturwissenschaften auseinandersetzen, darüber zu hören, wie sie mit unlösbar scheinenden Problem-Knäueln (Wissenschaftler bezeichnen sie als „wicked problems“) umgehen. Bei den diesjährigen „Carinthischen Dialogen“ zum Generalthema „Solidarität und Verantwortung“ konnte ich diesen Luxus genießen. Die Kombination einer steilen, persönlichen Lernkurve mit der Beruhigung darüber, dass auch jene, die mit ihrer Materie am besten vertraut sind, keine Patentrezepte haben, gab mir wieder neue Zuversicht.

Einer der Vortragenden war Botschafter Peter Launsky-Tieffenthal, seit seiner Rückkehr aus New York, wo er über mehrere Jahre Stellvertretender Generalsekretär der Vereinten Nationen war, im Außenministerium verantwortlich für Entwicklungs-Zusammenarbeit. Er zeigte am Beispiel des Umgangs mit dem Flüchtlings-Problem anschaulich auf, wie Österreich etwa im Nordirak konkrete Hilfe vor Ort leistet: vom Wiederaufbau von Schulen und Spitälern bis zur Berufsausbildung von Rückkehrern reicht der Handlungsbogen von Projekten, die dem Ziel der Herstellung von (Über-)Lebensverhältnissen dienen, die nicht mehr zur Emigration zwingen.

Ohne den Anspruch, den von Großmächten angerichteten nahostpolitischen Scherbenhaufen beseitigen zu können, geschieht hier konkrete, realistische Friedenspolitik durch Hilfe zur Selbsthilfe. Mit dem Mut, Dinge zu ändern, die man ändern kann.

21. Juli 2016

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