die furche - 153

Very British: Kriegsgedenken und Versöhnung

 

Der 11. November („Remembrance Day“) ist in Großbritannien ein traditioneller Gedenktag für gefallene Soldaten. Rote Mohnblumen („Poppies“) erinnern an die Schlachtfelder von Flandern und Nordfrankreich und die unvorstellbaren Verluste an Menschenleben, die der schreckliche Krieg der „Schlafwandler“ (© Christopher Clark) gefordert hat. Hundert Jahre nach dem Beginn des Ersten Weltkrieges übersteigerte man in London das Traditionsfest mit einer spektakulären Installation am Tower, in dessen Burggraben für jeden der 888.246 gefallenen Soldaten eine Mohnblume aus Keramik „gepflanzt“ wurde. Rund vier Millionen Menschen haben das rote Blumenmeer, eine Idee von Bühnen-Designer Tom Piper und Keramikkünstler Paul Cummins, bisher bereits gesehen.

Wie zum Beweis, dass wir aus der Geschichte lernen können, eröffnete das British Museum fast zeitgleich eine Ausstellung, die einen wohltuend versöhnlichen Blick auf das Land der Nachkommen der Gegner von damals wirft. „Germany – Memories of a Nation“ heißt der kluge, von Neil MacGregor, dem Direktor des Hauses, persönlich kuratierte Querschnitt durch Geschichte und Kultur des wiedervereinigten Deutschland. In zweihundert Objektgruppen wird gezeigt, wie vielfältig jener Kulturraum, dessen politische Grenzen so oft gewaltsam verschoben wurden, zur Entstehung Europas beigetragen hat.

Die Ausstellung verzichtet auf Vollständigkeit. Es geht vielmehr um Exemplarisches und Repräsentatives, ob im Denken oder in der Kunst. An Johannes Gutenberg, den Erfinder des Buchdrucks, erinnert das Originalexemplar der ersten gedruckten Bibel. An Immanuel Kant die Erstausgabe seiner „Kritik der Praktischen Vernunft“. Und an Karl Marx ein Widmungsexemplar seines Hauptwerkes „Das Kapital“, verfasst in der Bibliothek des British Museum, direkt unter den heutigen Ausstellungsräumen. Meisterstücke traditioneller Handwerks- und Uhrmacherkunst finden sich neben Werken von Albrecht Dürer und Tilman Riemenschneider, bis hin zu einer Kinderwiege im Bauhaus-Stil.

Auch für die politische Geschichte stehen Symbol-Objekte - von einer Nachbildung der (Habsburgischen) Kaiserkrone des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation über das Tor des Konzentrationslagers Buchenwald („Jedem das Seine“) bis zu einem jener hölzernen Karren, in denen 12 bis 14 Millionen deutsche Vertriebene ihre letzten Habe zu retten versuchten. Gegen Schluss des Rundgangs schließlich ein zeitgenössischer Blick auf den neuen Reichstag in Berlin, mit der Demokratie und Transparenz symbolisierenden, begehbaren Glaskuppel des britischen Architekten Norman Foster, in Nachbarschaft des Brandenburger Tores und des Holocaust-Mahnmals.

Neil MacGregor ermöglicht mit seiner beeindruckenden Sonderschau einen ganz neuen Blick ehemals verfeindeter Nachbarn auf ihren gemeinsamen europäischen Auftrag. Für alle, die nicht hinfahren können, bietet das ausgezeichnete Begleitbuch – es erscheint 2015 in deutscher Übersetzung – beinahe gleichwertigen Ersatz.

20. November 2014

download