die furche - 130

Woran es öfter fehlt

 

Die meisten unserer politischen Sorgen sind viel älter als wir. Schon Hugo von Hofmannsthal bemerkte in seinem 1915 verfassten Essay über Grillparzers politisches Vermächtnis, es fehle „in Österreich selten an geistigen Kräften, öfter jedoch an dem Willen, von ihnen Gebrauch zu machen“. Wie wahr.

In den Koalitionsverhandlungen wurden so manche vernünftige Reformansätze von Untergruppen – etwa zur Föderalismusreform – kommentarlos entsorgt, als gäbe es kein Morgen. Umsetzungsreife Vorschläge des seinerzeitigen Verfassungskonvents oder des Rechnungshofes blieben weitgehend unberücksichtigt, sprunghafte Entscheidungen zu Kompetenz- und Personalfragen sorgten für Aufregung.

Zugegeben, wir jammern in einem der wohlhabendsten Länder der Welt auf hohem Niveau – aber vielleicht tun wir das mitunter aber auch deshalb, weil wir uns berechtigte Sorgen um dessen Aufrechterhaltung machen. Denn zweifellos ist die Substanz unseres Wohlfahrtstaates im globalen Wettbewerb der Standorte gefährdet, wenn nicht bald ernsthafter um die besten, nachhaltigen Lösungen gerungen wird, mit mehr Professionalität und weniger von jener kleinlichen Parteilichkeit, die aus noch so ambitionierten Überschriften halbherzige Provisorien macht.

Unsere derzeitige Realverfassung erweist sich bei näherem Hinsehen als Zerrbild verschobener Kräfteverhältnisse. Das falsche Gewicht der Bundesländer, die von ihnen weitgehend abhängigen Nationalratsabgeordneten, überteuerte Parteiapparate und allzu selbstzufriedene Interessensvertretungen aller Art machen barrierefreies politisches Arbeiten an der Sache immer schwieriger.

Ich rede keiner Verschweizerung das Wort, ertappe mich aber immer öfter dabei, am politischen System unserer Nachbarn viel Vorbildliches zu erkennen: etwa eine Bundesregierung, die aus nur sieben Mitgliedern besteht (statt Kompetenzstreitigkeiten und Spontan-Verschiebungen ganzer Ressorts) oder die erfrischend nüchterne jährliche Kür eines der Regierungsmitglieder („Bundesräte“) zum turnusmäßigen Bundespräsidenten.

Bemerkenswert auch das seit Jahrzehnten funktionierende Modell einer Teilhabe aller im Parlament vertretenen Partien an der Regierungsverantwortung. Anstelle erstarrter Oppositionsrituale bildet eine vitale direkte Demokratie das notwendige Gegengewicht einer solchen Allparteienregierung. Eine überfallsartige Fast-Verdoppelung der Parteienfinanzierung wie hierzulande im vergangenen Sommer hätte dort jedenfalls keine Zustimmung gefunden.

Wir können ein solches Modell nicht einfach abpausen. Aber wir sollten davon zu lernen versuchen, was unser etwa gleich großes Nachbarland mit einer um mehr als fünfzehn Prozent niedrigeren Staatsquote und seinem dennoch hohen Wohlstandsniveau demokratiepolitisch leistet. Denn Vieles von dem, was bei uns realpolitisch eingerissen ist und zur schlechten Gewohnheit wurde, ließe sich ganz ohne Änderung der Verfassung korrigieren. Es bedarf dazu nur des Willens, von den geistigen Kräften Gebrauch zu machen.

03. Jänner 2014

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